Jeder braucht es zum Leben – manch einer scheffelt Millionen damit: Wasser. Das Geschäft mit der blauen Flüssigkeit ist nicht immer sauber.
Rund 70.000 Heilwasser-Touristen pilgern jedes Jahr ins böhmische Bäderdreieck Franzensbad, Marienbad und Karlsbad an der deutschen Grenze. Johann Wolfgang von Goethe, Franz Kafka, Friedrich Nietzsche, Albert Schweizer, Gérard Depardieu, Morgan Freeman oder Antonio Banderas zählen zu ihren berühmtesten Gästen. Marienbad ist der jüngste Kurort im Bäderdreieck; 1808 wurden die ersten Bäder dort errichtet. Fast 200 Jahre Heilwasser-Rummel bereicherten die Region. Noch heute rollt Bus für Bus Senioren-Reisegruppen in die 14.000-Einwohner-Stadt. Knapp vierzig Heilwasser-Quellen bietet der Kurort. Rentner bummeln mit Nordic-Walking-Stöcken durch den Kurpark. Teure Grandhotels, verschnörkelte Kirchen, prunkvolle Kolonnaden, breite Promenaden und kleine Souvenir-Shops bilden das Stadtbild. Zu verdanken ist der Glanz der ab 1989 beginnenden Privatisierung. Die Investoren renovieren ihre Gebäude und Anlagen aufwendig und halten das einzigartige Gesicht der Stadt weiterhin aufrecht. Ein Baukran thront über einem Gebäudekomplex. Sämtliche Gastronomieunternehmen liegen in privater Hand. Russische Oligarchen sollen großzügig zugeschlagen haben – auch ein paar Deutsche sind stolze Besitzer von Immobilien. «Wir machen die Arbeit, die Russen das große Geld», behauptet Lucinka (19) in perfektem Deutsch. Die Schülerin der Hotelfachschule Marienbad will ihre Ausbildung in der Kurstadt beenden und sie dann verlassen: «Hier arbeite ich nur mit alten Leuten; ich möchte gerne nach Prag oder München.»
Die Touristen stapfen vorsichtig in die Kolonaden. Das schwefelige Wasser treibt den Geruch fauler Eier in die Nase. Fast alle Heilquellen in den Kurorten sind für Touristen frei zugänglich und kostenlos. Der wohl bekannteste und größte Wasserabfüller der Welt hortet dagegen exklusive Förderungslizenzen. Das Schweizer Unternehmen Nestlé führt 73 unterschiedliche Marken – die wohl bekannteste ist das Wasser «Pure Life». Die riesige Abfüllanlage liegt in einem Land, in dem die Grundversorgung an trinkbarem Wasser für die Menschen keine Selbstverständlichkeit ist: Südafrika. Die Marketing-Abteilung macht aus Grundwasser ein Lifestyle-Produkt und verkauft es um ein Vielfaches teurer. 282.000 Liter Wasser werden dort täglich für den Verkauf abgefüllt. Viele der einheimische Mitarbeiter arbeiten für wenig Geld in 12-Stunden-Schichten. Um das eingegrenzte Gelände herum haben sich kleine «Armenviertel» gebildet. Dort leben viele junge Familien. Alte Bettlaken und Kartons, auf dürren Ästen aufgespannt, schützen vor der Sonne und verschaffen ein klein wenig Privatsphäre. In diesen Vierteln gibt es kein fließend Wasser, obwohl die riesige Wasser-Anlage etwa 200 Meter entfernt liegt. Auf den Toiletten gibt es ebenfalls keine Wasserleitung; die Hygiene ist eine Katastrophe. Jeder Mitarbeiter der Abfüllanlage erhält zwei 0,5-Liter-Flaschen Wasser zu Schichtbeginn. Viele der Mitarbeiter trinken nur etwa eine Flasche und sparen den Rest für ihre Familie auf. Nestlé entzieht sich der Verantwortung: eine saubere Wasserleitung in das angrenzende Dorf existiert nicht. Immerhin hat der Konzern in der Nähe eine kleine Zapfanlage bereitgestellt. Wenige Tropfen für tausende durstige Afrikaner. Frauen schleppen Kanister an, um das «blaue Gold» abzufüllen. Der frühere Nestlé-Chef Helmut Maucher hat das Unternehmensziel für die nächsten Jahre vorgegegeben: «Die Hand auf die Quellen halten». Sein Nachfolger Peter Brabeck-Letmathe bekräftigt diese These und erweitert sie sogar in einem Video, das vor einigen Jahren für großes Aufsehen sorgte. Darin erklärt er, es gäbe zwei extreme Meinungen zum Wasser. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) behaupten, dass Wasser ein Menschenrecht sei und für jeden Menschen zugänglich sein muss. Dem entgegen steht die Meinung des Nestlé-CEO: «Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte es einen Marktwert haben.» Kritiker fassen seine Aussage so zusammen: Wasser ist kein Menschenrecht und wer es sich nicht leisten kann, hat Pech gehabt.
Kondrauer Mineral- und Heilbrunnen, ein Wasser-Abfüller in der Nähe von Waldsassen (Bayern) setzt auf Nachhaltigkeit und Qualität: ortsansässige Bauern nutzen – von Kondrauer gefördert – ausschließlich Düngemittel, die das Grundwasser nicht mit Schadstoffen belasten. Stolz präsentiert Geschäftsführer Markus Humpert eine alte, typische Kondrauer-Flasche: längliche Form, dunkelgrünes Glas, helles Etikett in altdeutscher Schrift. Sein Daumen zeigt auf den Schriftzug «Heilwasser» – die Flasche ist rund hundert Jahre alt. Damals war der Vertrieb von Heilwasser einfacher. «Heute müssten wir einen Arzt neben die Abfüllanlage stellen und uns ständig rechtfertigen.» Ein Heilwasser für den Betrieb zu lizenzieren, ist fast undenkbar – wissenschaftliche Studien und Untersuchungen müssen angefertigt werden. Das kostet Zeit, Nerven und vor allem viel Geld. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis: eine geringe Positivliste steht einer mehrseitigen Negativliste gegenüber. “Ein Amt in Sachsen wartet nur auf einen Fehler», ärgert sich Humpert. Bei Verstoß gegen die Richtlinien droht ein saftiger Bußgeldbescheid. Die Menschen legen auch immer weniger Wert auf den Begriff «Heilwasser». «Sie kaufen das Wasser, weil es ihnen schmeckt und nicht, weil es Krankheiten heilen könnte.»
Nachweisliche Wirkungen bietet das Wasser dennoch: der hohe Hydrogencarbonat-Anteil gleicht den Säure-Basen-Haushalt aus und neutralisiert Übersäuerungen im Magen-Darm-Trakt. Das seltene Silicium sorgt für schöne Haare und Haut, Magnesium hilft in Lern- und Stresssituationen, der Fluorid-Anteil für weiße Zähne. Fünf Quellen bieten Kondrauer einen großen Wasservorrat in Tiefen von bis zu 280 Metern. Leistungsstarke Pumpen befördern etwa 0,5 bis 1,5 Liter pro Sekunde an die Oberfläche. Es ist eine sehr kostspielige Angelegenheit, neue Quellen zu erschließen. Geologen untersuchen mögliche Stellen; Testbohrungen folgen. «Ein Meter kostet etwa 1000 Euro. Bei einer entsprechenden Tiefe kommt man mit den Vorbereitungskosten schnell an eine halbe Million Euro.» Interne Proben und externe Untersuchungen belegen täglich die Qualität der «am stärksten kontrollierten Nahrung der Welt». So kann das Kondrauer Wasser jeder bedenkenlos trinken – auch Schwangere oder Neugeborene. Der wirtschaftliche Druck gegenüber Discounter-Wassern, die das Wasser nur aus wenigen Metern Tiefe gewinnen, sei groß: «Vielleicht sollten wir lieber Mineralwasser für Hunde verkaufen, um die 12 Prozent Mehrwertsteuer zu sparen», scherzt Humpert. Mineralwasser wird vom deutschen Staat mit 19 Prozent Mehrwertsteuer geführt. «Gehen Sie mal zu Fressnapf, da steht in den Regalen Wasser für Tiere mit dem üblichen siebenprozentigen Satz.» Die Erklärung ist denkbar einfach: Wasser sei über einen Hahn jederzeit zugänglich. Wem das Leistungswasser nicht schmeckt, muss das Luxusprodukt Mineralwasser eben verteuert kaufen.
Gut dreißig Kilometer weiter nördlich von Marienbad liegt die 5.000-Einwohner-Kurstadt Franzensbad, die kleinste Stadt des Bäderdreiecks. Auch sie ist größtenteils privatisiert und wird seit der Wende von der Franzensbad AG geführt. Hier ist vom Glanz vergangener Zeit und vom Reichtum der Nachbarn wenig übrig geblieben. Auf den ersten Blick wirkt die Stadt prächtig und erhaben: Stuck-Fassaden aus dem Jugendstil und helles Steinpflaster zieren die Fußgängerzone direkt neben dem Kurpark. Hinter den Stirnseiten zeigt die Stadt ihr wahres Gesicht: jedes zweite Geschäft steht leer. Werbeflächen für ein Kurbad verdecken leere Ladenflächen. Auch die Wohnflächen scheinen, leer zu stehen: In den Fenstern der Obergeschosse hängen nicht einmal Gardinen. Wer einen Schritt aus der Altstadt wagt, spaziert durch überbesiedelte Wohnviertel. Auch hier glänzt die Außenfassade der Gebäude. Wer aber einen Blick in einen der Hinterhöfe wagt, wird eines besseren belehrt: maroder Putz, kaputte Fensterscheiben und verrostete Leitungen. Kristýna (23) wartet in einem prunkvollen Gebäude auf Touristen. Sie sitzt hinter einer herkömmlichen Zapfanlage, um gegen Spende Heilwasser aus der Glauberquelle auszuschenken. «Das andere Wasser und die Luft hier sind sehr schwefelig. Dieses Wasser hat weniger Schwefel, dafür mehr Kohlensäure», erklärt sie in gebrochenem Deutsch. «Das Quellwasser beruhigt den Magen», versichert sie. «Vor dem Essen ein Glas trinken und nach dem Essen auch». So soll die Verdauung angeregt und Sodbrennen vermieden werden.