In den 90er Jahren sorgte Michael Born mit einem furiosen Gerichtsverfahren in ganz Deutschland für Aufsehen. Sein Fall geht durch die Presse: Über 30 Dokumentationen hat er gefälscht und an populäre Fernsehformate verkauft. Seitdem ist Born einer der bekanntesten Fälscher der Fernsehgeschichte. Dabei kam Born nur durch Zufall zum Journalismus. Nach der Schule schlägt er zunächst eine komplett andere berufliche Laufbahn ein.

Du warst Kapitän und bist auf See gefahren?

Ich war Kapitän auf einem Frachter. Der hieß Prage. Knapp 300 Meter lang. Und dann wurde meine Freundin schwanger – passiert. Und die hat gesagt: Okay, Seefahrt oder Kind.

Was hast du gesagt?

Und dann hab ich echt die falsche Entscheidung getroffen. Dann hab ich gesagt: Kind – ja.

Du hast dich falsch entschieden?

Na klar. Zwei Jahre später war Kind weg, Frau weg und ich stand ohne alles da. Ich bin ohne zu kündigen runter vom Schiff. Da kriegst du keine Anstellung mehr, bei der Reederei zumindest nicht. Ich stand da in der Luft. Dann hab ich einen Araber kennengelernt: Abdullah. Der sagte zu mir, hör mal, im Libanon sitzen doch zwei Geiseln fest, zwei Deutsche. Dann bin in den Libanon gegangen.

Im Januar 1987 entführte eine Gruppe der libanesischen Hisbolla, die sich selbst «Kämpfer für die Freiheit» nennen, Rudolf Cordes, den Manager des Chemie- und Pharmakonzerns Hoechst. Die Entführer wollen damit die Freilassung von Mohammed Ali Hamadierzwingen, einem Terroristen, den die deutschen Polizei vier Tage zuvor verhaftet hat. Cordes kommt erst im September 1988 frei, nach 605 Tagen in Gefangenschaft. Adullahs Familie gehörte zu der Miliz der Entführer und kannte Cordes Geiselnehmer. Dadurch bekamen er und Born die Chance den Höchst-Manager zu interviewen. Für Born war das der Einstieg in den Journalismus. Er erzählt, dass Abdullah und er sich selbst damals in der Rolle der Vermittler sahen – allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Wir sind da komplett zwischen die Fronten geraten. Die Bundesregierung in Deutschland – die haben übrigens versucht mir den Pass zu entziehen – hat mit Syrien verhandelt. Da war Geld im Spiel, nämlich 40 Millionen US-Dollar, um den da rauszuholen. Und wir wollten den so rausholen. Dann waren wir natürlich allen ein Dorn im Auge. Mich haben sie in Ruhe gelassen, weil sie sich nicht an mich rangetraut haben. Die dachten, ich wäre vom Bundeskriminalamt. Das ist echt schräg. Ich mein, das sind schräge Zeiten gewesen damals.

Mit schräg meint Born zweierlei: zum einen, dass er selbst für einen Bundesbeamten gehalten wurde; zum anderen eine weitere Entführung: die seines Freundes Abdullah. Der militärische Geheimdienst Syrien nahm ihn gefangen und folterte ihn.

Wie ist Abdullah wieder frei gekommen?

Als die Abdullah mitgenommen haben, da hab ich eine Makarov genommen und hab gesagt zu seiner Mutter: Ich geh jetzt da hin, ich schieß den frei. Dann hat mich der Bruder umgerissen und gesagt: Du bleibst jetzt hier und gibst keinen Ton mehr von dir. Er ist da hin. Die hatten relativ gute Kontakte und der hat den dann mitgebracht. Aber wie der ankam, das hab ich echt nicht geglaubt. Dann hab ich die ganze Familie komplett nach Deutschland gebracht. Über Frankreich, ohne Visum, alles über schwarze Grenzen. Das sind heute alles Deutsche. Die sind deutscher als jeder Deutsche. Die zahlen echt brav ihre Steuern, was mir noch nie in meinem Leben eingefallen ist. Abdullah kann immer noch nicht richtig laufen.

Habt ihr danach noch aus den Krisengebieten berichtet?

Abdullah nicht mehr. Das war vorbei. Ich bin weiter in den Iran. Da lief dieser Iran-Irak-Krieg. Ich bin mit meiner Freundin in einen Giftgasangriff gekommen, dabei ist sie auch umgekommen. Das war Halabdscha.

Er hält kurz inne. Ihm ist anzusehen, wie ihn das damals Erlebte noch heute mitnimmt. Er geht nicht weiter auf das Thema ein. Die großteils von Kurden bewohnte irakische Stadt Halabdscha wurde 1988 zum Ziel eines Giftgasangriffs des irakischen Militärs. Dabei kamen rund 4000 Menschen ums Leben.

Ja und dann eben von einen Krieg in den nächsten. Irgendwann, das war dann ’91, im Golfkrieg, dem ersten Bush-Krieg. Der hatte den Schiiten im Süden vom Irak signalisiert: Wenn ihr einen Aufstand macht, unterstützenwir euch und die Kurden im Norden. Und dann hat er mit Sadam Hussein Frieden geschlossen. Das hat Sadam ausgenutzt und hat die Kurden im Norden überfallen.

Du hast viel über die Kurden berichtet.

Ja, dafür bin ich auch angegriffen worden. Ich bin durch alle Kriege auf dieser Welt durchgelaufen in meiner Zeit. Als ich gesehen hab, was Sadam da oben angerichtet hat, da hab ich gesagt: Okay, wir sind Kriegsreporter, wir verdienen mit Krieg unser Geld, also sind wir Kriegsgewinnler letztlich. Das kann so nicht funktionieren. Dann hab ich die Kamera, was meine eigentliche Waffe war, getauscht mit der Waffe.

Und dann hast du für die Kurden gekämpft?

Ja

Wie gehst du mit dem um, was du während dem Krieg gesehen und erlebt hast?

Das ist schon schwierig, na klar. Was meinst? Ich hab eine Klatsche in der Birne. Manche Dinge, man denkt immer, man kann die wegstecken – geht aber nicht. Der Kopf speichert alles ab. Speziell in dem Moment hab ich gedacht: Nee, das kannst du nicht zulassen. Die Kamera draufhalten und wer weiß, was die zu Hause daraus machen, das kommt noch dazu. Du verdienst die ganze Zeit dein Geld damit, dass die sich gegenseitig totschlagen, jetzt musst du einfach Stellung beziehen.

In den Krisengebieten hast du noch nicht gefälscht?

Nö.

Erst später begann er das Material in seinen Filmen zu manipulieren. Jahrelang kam er damit durch. Aus Zufall kam ihm die Polizei schließlich auf die Schliche und verhaftete ihn. Daraufhin wurde Born zu vier Jahren Haftstrafe verurteilt, er saß aber nur zwei ab. Während er auf seinen Prozess wartete, verbrachte er bereits ein Jahr in Untersuchungshaft, sechs Monate davon in der Psychiatrie – wegen Magersucht. Nicht, weil er tatsächlich krank war, sondern weil sein Anwalt hoffte, es könne ihm in seinem Prozess zugutekommen. Er erzählt, er habe dafür fünf Monate nichts gegessen.

Die Zeit in Untersuchungshaft wurde dir später an deine Haftstrafe angerechnet. War das der Grund für deine frühzeitige Entlassung aus dem Gefängnis?

So einfach war es nicht. Vor meiner Entlassung gab es ein Problem. Ich war lieb und nett, aber ich hab allen Leuten, die nicht schreiben konnten, die Anträge geschrieben. Ich hab für jeden Antrag eine Schachtel Zigaretten genommen. Es kamen so viele Anträge rein, dass die die gar nicht mehr bearbeiten konnten. Die wollten mich nur noch loswerden. Nur die Staatsanwaltschaft hat sich quer gestellt. Die müssen zustimmen. Ich rief dann zwei Tage vor meiner Entlassung an und sagte: Was ist hier los? Sagte er: Wir können nicht zustimmen ohne ein psychologisches Gutachten, dass sie nicht wieder strafbar werden. Ich sag: Ist in Ordnung. Aufgelegt. Die hatten natürlich keine Ahnung davon, dass ich schon seit einem Jahr mit einer vereidigten Gerichtspsychologin zusammenlebe. Ich bin dann zu ihr gegangen: Überleg dir mal, was der von mir will. Sagt sie: Setzt dich an den Computer und schreib. Dann hab ich mein eigenes Entlassungsgutachten geschrieben. Batsch, Stempel von ihr drauf, aufs Fax, rüber nach Koblenz zur Staatsanwaltschaft. Dann konnten die auch nichts mehr sagen.

Schön während seiner Zeit in der Justizvollzugsanstalt Wittlich hat Born wieder angefangen als Kameramann zu arbeiten.

In Wittlich war ich direkt im offenen Vollzug. Dann hab ich ein Telefonat geführt. Ich hab mir die gelben Seiten genommen, durchgeblättert: Filmfirmen. Ich stieß auf Rebfilm in Trier. Ich hab angerufen und der hat mich sofort eingestellt.

Trotz deiner gefälschten Filme?

Ja. Der hat gewusst, wer ich bin und mich sofort eingestellt.

Hatte er keine Hemmungen jemanden einzustellen, der wegen gefälschter Filme verurteilt wurde?

Der wusste, ich bin ein guter Kameramann. Ich hab da Schulfilme gedreht. Abgesegnet vom Kultusministerium in Mainz. Und der Typ, der mich damals eingestellt hat, bei dem wohne ich jetzt hinten im Schafstal. Roland Berger.

Momentan arbeitet Micheal Born gemeinsam mit Roland Berger an einem Bühnenprogramm, mit dem sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz touren wollen. Nach seiner Haftstrafe arbeitete Born wieder fürs Fernsehen. Mit dem Prozess wurde das Fälschen von Filmen zu seinem Markenzeichen. Er bekam das Angebot für eine Sendung zu arbeiten, in der Zuschauer raten müssen, ob ein Film wahr oder falsch ist. Born war selbstverständlich für das gefälschte Materialzuständig. Eine Tatsache, die ihm erheblich auf die Nerven ging. Er besprach sich mit seinem Anwalt – er war inzwischen vorsichtiger geworden – und drehte das Konzept der gefälschten Filme um: Er filmte wahre Geschichten und verkaufte sie als gefälscht. Als er daran keinen Spaß mehr hatte, zog er nach Griechenland und produziert seitdem Bio-Olivenöl. Nebenher gründete er seinen eigenen Fernsehsender für die deutschsprachige Gemeinde in Griechenland. Als der kein Geld mehr brachte, begann er Bücher zu schreiben. Er reist viel. Nach Australien zu Verwandtschaft und Freunden oder auf sein Anwesen in Martinique – bezahlt von Günther Jauch, wie er lachend betont. Für die Entwicklung des Bühnenprogramms zusammen mit Roland Berger ist Born jetzt nach Graz gekommen. Bei der Show spricht er über Fälschungen, seine eigenen und fremde, und erklärt, woran man Fälschungen erkennt. Auch Fake News kommen dabei zur Sprache.

Wünschst du dir manchmal zwanzig Jahre später mit deinen Fälschungen dran zu sein? Jetzt in den Zeiten von Fake News?

Es gibt einen Unterschied: Ich bin ein vordigitaler Fälscher. Das sind digitale Fälscher. Aber die Kriterien sind immer noch dieselben. Es gibt ganz bestimmte Kriterien an denen man Fälschungen erkennen kann.

Welche Kriterien sind das?

Erstens eine bewegte, wackelnde Kamera – immer ein Kriterium, da stimmt was nicht. Kein Kameramann wackelt mit der Kamera. Das impliziert im Hirn Authentizität. Dann: Kein Krimineller lässt sich bei kriminellen Aktionen filmen. Noch ein Kriterium: Der Journalist kriegt die Augen verbunden, wenn der irgendwo hingeführt wird. Und was ist mit dem Kameramann? Das sind jetzt mal drei Sachen.

Glaubst du, die Menschen sind inzwischen sensibler für Fälschungen geworden und erkennen sie eher?

Es kommt immer darauf an, woher kommen die Fake News. Natürlich, mit Digital habt ihr viel mehr Möglichkeiten. Ich bin ja vordigitaler Fälscher, ich hab noch richtig Filme gemacht. Du kannst ja jetzt jeden Bildpunkt verändern. Es gab mal jemanden, der hat eine Theorie gehabt: der Thomas Frickel. Der ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm. Der hat vor zwanzig Jahren geschrieben, ich wär der Prophet der neuen Zeit, weil meine Theorie war damals: Wahnsinn ist ja eigentlich was Demokratisches. Dimos kratein, das Volk herrscht, jeder macht seine eigene Wahrheit. Also nicht ein Fake-Millionen und Milliarden davon. Dann wird die Sache ad absurdum.

Born gestikuliert, um seinen Worten noch mehr Bedeutung zu verleihen. Ihm ist wichtig zu erklären, wie schwammig der Begriff Wahrheit für ihn ist. Er übersetzt aus dem Griechischen. Demnach entstünde das Wort Wahrheit aus der Negation des altgriechischen Wortes für Stein, Fels, Unverrückbar. Jeder Mensch habe seine eigene Auffassung von Wahrheit, sagt er, deshalb gebe es mindestens so viele Wahrheiten, wie es Menschen auf der Welt gibt, circa sieben Milliarden.

Mehr über Michael Born und seine spektakulärsten Fälschungen erfahren Sie im Magazin Schmitz – Purpur.