«Ich möchte Kindern ein Vorbild sein, meine Eskapaden hinter mir lassen und für andere Menschen da sein», erzählt Johannes Kosok, Dekanatsjugendreferent im fränkischen Heidenheim. Er berichtet von seinen frühen Sünden und wie er heute, durch seine Erfahrungen, Jugendliche für die Kirche begeistert.
Wie warst du in deiner Jugend?
Ich glaube anstrengend. Naja, eine Zeitlang habe ich ziemlich viel gezockt. Als ich dann den Führerschein hatte, habe ich ein bisschen das entdeckt, was außerhalb der Computerzone liegt. In der Schule war ich sehr anstrengend. Heute würde man sagen, eher so der Klassenclown, bloß etwas gestörter. Ab der zehnten Klasse bin ich immer seltener in die Schule gegangen. Habe mich dann bis zur Dreizehnten durchgemogelt, musste dann aber das Gymnasium verlassen: Ich hatte sehr viele Abwesenheitstage. Irgendwann wusste ich schon, jetzt muss ich mit meinen Eltern reden.
Wie haben deine Eltern reagiert?
Ich glaube, sie waren schon enttäuscht und geschockt, aber dann musste es ja weitergehen. Damals war das so: Man musste sich dann am Kreiswehrersatzamt melden. Da wurde ich gleich am 1. April verpflichtet.
Warst du damals schon gläubig?
Als Kind ja, als Jugendlicher eher weniger. Ich meine, ich glaube an Jesus – in ihn setze ich mein Vertrauen, aber wie ich mich verhalten habe, das hat jetzt nicht unbedingt immer gepasst. Der richtige Absturz für mich kam eigentlich während der Wehrdienstzeit. Da habe ich alles ausprobiert, was so geht: Drogen, fast nichts ausgelassen, vom Kiffen über LSD. Komischerweise bin ich hier immer noch in den Jugendkreis gegangen und habe schon gemerkt, das passt irgendwie nicht.
Wie bist du von den Drogen weggekommen?
Es war Christival in Dresden. Gerade für junge Leute war das total geil, weil da die Jesus-Freaks aufkamen. Das hat die ganzen starren Sachen durchbrochen. Ich habe schon immer gedacht: Das muss doch auch anders gehen. Alles, was ich über Jesus gelesen habe, passte sonst nicht für mein Lebensgefühl. Wir sind dann mit einer Hand voll Leuten mit dem Zug hingefahren; war echt eine coole Zeit. Es gab dort eine Kirche, die nur noch aus den Außenmauern und dem Glockenturm bestand. Mittendrin eine Bühne mit Punkmusik, was damals voll meine Richtung war, und dazu predigt einer. Es wollten viele Leute rein, wir haben uns dann noch reingedrückt und direkt hinter uns gingen die Türen zu. Es sollte so sein. Es passte voll in meine Situation. Ich war eigentlich jeden Tag ziemlich drauf und so kam ich ein bisschen runter. Der Prediger sagte: Auch wenn du denkst, du bist jetzt der letzte Dreck und ganz weit weg von Jesus, er braucht dich trotzdem. Dann habe ich zu Jesus gesagt: Wenn es dich wirklich gibt, fahre ich am Sonntagabend in die Kaserne und dann ist Schluss. Ich kiffe nicht mehr, ich schmeiß nichts mehr. Es ist dann einfach Schluss – klingt wie ein Märchen.
Wie sah der Schlussstrich bei dir aus?
Ich hatte ganz viele CDs. Die haben mich einfach an die Zeit erinnert, als ich was geschmissen habe. Die habe ich genommen, zum Secondhandladen hingebracht und mir dafür einen Verstärker geholt. Ich habe damals noch nicht Gitarre gespielt, aber E-Gitarre fand ich immer geil. Ich habe mir eine E-Gitarre und einen Marshall-Verstärker gekauft. Wir machten dann richtig christliche Lieder. Das war wirklich vom Saulus zum Paulus. Bis dahin war ich eigentlich eine total zwiegespaltene Person. Meine Eltern haben davon ganz wenig gemerkt, vielleicht eher an meiner Sprache, dass es bei mir bergab ging. Ich habe Zuhause angefangen was zu nehmen. Ich hatte in meinem Elternhaus ein ganz kleines Zimmer. Da standen nur ein Bett und ein Schrank drin. Da habe ich immer geraucht. Irgendwann haben sie es doch geschnallt, haben mir jedoch nie Vorwürfe gemacht. Sie haben meine Eskapaden einfach ausgehalten.
Wie kamst du dazu, anderen Menschen zu helfen?
Das war ganz irre. In der Gemeinde hatten wir eine Gemeindeschwester und die hat gesagt: Die anderen sind alle zu alt im Jugendkreis. Du machst die Andacht – und hat noch auf mich gezeigt. Ich dachte mir: Ja, scheiße, dann mach ich es halt. Dann haben sich alle getroffen. Auf einmal kamen 15 Leute in unserem Alter und es wurden immer mehr. So hat es dann angefangen. Eigentlich wollte ich was anderes machen, aber ich habe auch keinen Ausbildungsplatz gekriegt. Niemand wollte mich nehmen. Ich habe fast 150 Bewerbungen geschrieben, am Anfang sehr gezielt, dann wahllos. Ich wollte auch nicht beim Bund bleiben.
Wie ging es weiter?
Mein Vater war Pfarrer. Er meinte, dass ich mich in Marburg nach einem Studium umschauen sollte. Ich persönlich wollte das niemals machen. Ich hatte dann aber ein sehr auditives Erlebnis mit Jesus. Das klingt jetzt ein bisschen krass. Er hat gesagt: Du gehst dahin! Das war kein Empfinden oder Gefühl. Das war sehr hörbar mitten in der Nacht. Ich weiß es noch wie heute; ich hatte dann eine richtige Gänsehaut. Sehr widerwillig habe ich einen Lebenslauf geschrieben. Daraufhin haben die Leute in Marburg gesagt: «Wir sind hier in Hessen; die zwölfte Klasse ist abgeschlossen. Das heißt, Sie haben Fachabitur, Sie dürfen hier anfangen.» So habe ich mir, mit jemand anderen, zwei Jahre lang ein Zimmer geteilt.
Wie war deine Studienzeit?
Naja, ich kam erst mal in alte Schulstrukturen – von wegen keinen Bock – aber es hat mir definitiv was gebracht. Vor allem am Ende des dritten Semesters, wo ich so Sachen wie Jesus, glaubenstechnische Dogmatik, Theologie und vieles für mich auf eine coole Reihe gekriegt habe; alles so ordnen konnte. Es hat einen sehr tief geprägt, positiv, obwohl sie dir die Freiheit gelassen haben zu spinnen. Es hat niemand gesagt: «Du darfst das nicht denken.» Es wurde dir Mut gemacht weiterzugehen. Musik hat mich, glaube ich, dazu immer begleitet.
Versuchst du anderen Leuten auch dieses Verständnis zu vermitteln?
So ein Mutmacher bin ich. Jemanden sagen: Du kannst es, probiere es einfach aus! Manche Leute verstecken sich und können so viel. Ich weiß nicht, warum manchmal die Eltern nicht den Mut haben, so etwas zu sagen oder Kinder nicht mal auf Leute hören, die ganz nah an ihnen dran sind. In einem bestimmten Alter ist es wichtig, Fehler zu machen, viele sogar. Nur wenn du Fehler machst, entdeckst du erst, was du kannst. Aber du brauchst einen Rahmen, der dich nicht verarscht. Gruppen, bei denen sich jeder verarscht, bei denen macht keiner was, da traut sich niemand.
Wie schwierig ist es, Jugendliche für die Kirche zu gewinnen?
Unmöglich. Nahe zu unmöglich. Es ist, glaube ich, auch nicht leichter geworden. Es war schon immer schwer, weil Kirche immer so einen modrigen Geruch hat. Egal ob du jetzt in der Freikirche bist, in einer landeskirchlichen Gemeinschaft oder in der evangelischen und katholischen Kirche: Wenn sich auf einmal was bewegt, herrscht hier ein Unwohlsein. Man kann sich das so vorstellen: Du hast ein altes Schiff. Jahrhundertelang war es flach wie ein Brett gelegen. Auf einmal rennen die Leute von links nach rechts. Es kommt Bewegung rein; manche kriegen Panik und reagieren, indem sie sagen: Auf einmal ist alles scheiße. Es ist echt schwierig für manche Leute hinter die Kulissen zu gucken und den Kern zu sehen.
Was sagst du den Jugendlichen, wenn sie dich nach deiner Vergangenheit fragen?
Die meisten Leute kennen meine Vergangenheit. Meine Kinder eher noch nicht, aber ich spiele da mit offenen Karten. Ich habe gerne geraucht. Jesus war beteiligt dieses Grau zu schaffen. Man kann sich mit allem, was hier auf der Erde wächst, kaputt machen. Warum darf ich das nicht genießen – Dinge, die Gott geschaffen hat? Das habe ich mich schon immer gefragt. Warum erlaubt sich jemand ein Urteil über einen anderen Menschen, was eigentlich Gott zusteht? Ich merke selber, die meisten Jugendlichen haben Angst nicht perfekt zu sein. Das ist absoluter Quatsch. Ich glaube, wenn ich mit Jugendlichen rede, ist das ein Schlüssel, wie man diese Angst durchbricht. Jesus hat die Menschen angenommen, wie sie sind: Mörder, Betrüger, Lügner, Ehebrecher und Huren – was auch immer. Er hat sie akzeptiert und ist mit ihnen unterwegs gewesen.
Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen klingt, als wäre es nicht immer leicht. Würdest du sagen, Dekanantsjugendreferent ist ein Job bis in die Zukunft?
Wenn ich merk, wenn ich spür, wenn ein guter Freund sagt, lass die Finger davon, dann nehme ich das sehr ernst. Solange ich irgendwo einen Draht habe, mache ich das noch. Ich bin jetzt noch nicht komplett entschlossen, es für immer zu machen. Man wird ja auch nicht jünger. Wenn ich jetzt eine Woche mit Jugendlichen im Zeltlager bin, dann geht es nicht spurlos an mir vorbei. Meine Haare werden auch immer grauer. Jugendliche verändern sich auch. Vielleicht mache ich noch mal was in einer anderen Richtung. Meine Ziele haben mich dieses Jahr erwischt. Ich mache jetzt gerade ein Katechet im Nebenamt. Das heißt, ich bin gerade in der Schule und unterichte Religion. Ich habe schon bisschen Bammel vor den Prüfungen und vor dem, was dann kommt. Aber wenn ich vom Kopf her nicht mehr fit bin und mich Dinge nerven, die mich nicht nerven dürfen bei Jugendlichen, dann ziehe ich die Notbremse.