Die Branche, in der Christina Sperber tätig ist, gilt als oberflächlich: Die Welt der Mode will die Menschheit auf ihre eigene Art regieren. Das hat uns Meryl Streep als Miranda Priestly im Film Der Teufel trägt Prada gelehrt, in dem sie die Vogue-Chefin Anna Wintour verkörpert. Ein konträres Bild vermittelt Christina Sperber. Für sie ist Modedesign mehr als nur ein Gewerbe – es ist ihre Leidenschaft.

Christina wünscht sich schon im Kindesalter, einmal Designerin zu werden: Klischeehaft will sie schon als kleines Mädchen in die Modewelt einsteigen. Ihre Familie schenkt ihr zum zehnten Geburtstag das erste Buch, mit dem sie lernt, Figurinen zu zeichnen. Figurinen sind gezeichnete Entwürfe für Kleidungsstücke und sind zum Teil schon coloriert sind. Sie hat viele Stunden damit verbracht, detaillierte Zeichnungen unterschiedlicher Kleider anzufertigen. Ganze Nachmittage investiert sie nach der Schule für ihr Hobby. Der Aufwand zahlt sich aus: Ihre Skizzen werden immer besser. Jedoch muss sie ihr Hobby vernachlässigen und verlagert ihren Fokus: Die Schule und das Abitur rücken in den Vordergrund. Ein erfolgreicher Abschluss hat für sie Priorität. «Ich hatte nicht mal einen Kunstleistungskurs, sondern Biologie und Englisch», merkt die 27-Jährige an.

Im Film wird Andy die Assistentin von Miranda Priestly. Der begehrte Job birgt auch Schattenseiten: Zwischen tollen Kleidungsstücken, Manipulation und Oberflächlichkeit versucht Andy sich zurechtzufinden. Nigel, der Chef-Ausstatter der Vogue, steht ihr zur Seite.

Was bringt die Zukunft?
Nach dem Abitur, das sie in Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz abschließt, weiß Christina lange nicht, welche Richtung sie beruflich einschlagen möchte. Ist Modedesign das Richtige? Sie entscheidet sich zunächst im elterlichen Gasthof zu arbeiten. «Dann war es eigentlich meine Familie, die mir einen Stups gegeben hat», so Christina. Gemeinsam mit ihrer Tante Maria, die zu dieser Zeit selbst in München wohnt, setzt sie sich an den Schreibtisch und verfasst Bewerbungen, unter anderem für Modeschulen wie die renommierte Esmod in München und für ein Studium im Mediendesign. Wieder keine einheitliche Branche, auf die sie sich festlegt. «Ich war anfangs in diesem Kleinstadt-Ding gefangen. Klar, ich musste von meinem Heimatort weg und war vielleicht auch zu schüchtern», sagt Sperber heute.

Sie muss nicht lange warten, bis sich die erste Modeschule bei ihr meldet: Kurze Zeit nachdem sie sich bei der Esmod beworben hat, wird sie zu einem persönlichen Gespräch nach München eingeladen. Stolz und mit einem ungewissen Gefühl für das, was die Zukunft bringt, macht sie sich auf dem Weg. Hier ist ihr wieder Maria ein Anker, die sie dazu bewegt, mit ihr gemeinsam die Esmod anzuschauen. Damit endet die Bewerbungsphase: «Die Esmod war die erste Schule, für die ich mich beworben habe und sie haben mich tatsächlich genommen.»

Miranda zu Andy: «Also habe ich mir gedacht: riskier es.»
Wie Andy im Film setzt Christina alles auf eine Karte und wagt etwas Neues. Entgegen ihrer anfänglichen Befürchtung, ein Studium in München könnte für sie zu gewagt sein, lebt sie sich schnell dort ein. Ihr Geburtsort, das beschauliche Städtchen Sulzbach-Rosenberg, ist für sie lange Zeit der Mittelpunkt ihres Lebens. Heute kommt ihr die bayerische Landeshauptstadt wie ein kleines Dorf vor – wenn sie in bestimmten Vierteln unterwegs ist. Ihre Tante Maria, bei der sie in der Anfangszeit wohnt, gibt ihr den nötigen Rückhalt, in ihrer neuen Heimat anzukommen. Für sie war es auch gleichzeitig die Zeit, in der sie selbstbewusster wird. «Wenn du weißt, was du gut kannst, und das auch rüberbringen kannst, wirkst du automatisch anders auf andere Leute», so Christina.

Emily, die Kollegin von Andy, macht ihr anfänglich häufig das Leben schwer: In ihren Augen ist der Kleidungsstil von Andy nicht tragbar. Mit Kleidergröße 36 ist sie doch viel zu dick für den Arbeitsplatz?

Andy musste während ihres Arbeitstages alles perfekt erledigen. Bei Christina ist das ähnlich: Ohne die vielen Stunden, die sie an ihrem Zeichenplatz verbracht hat, wäre sie nie so gut geworden. Das Studium meistert sie mit Bravur. Viel zu schnell verstreicht für sie die aufregende Zeit. Gerne denkt sie daran zurück: Sie muss viel Arbeit in ihre Projekte investieren und versuchen, sich von ihren Mitstudierenden abzuheben. Abheben – hier fällt ihr sofort der wohl glücklichste Moment während ihres Studiums ein: Modeunternehmen wenden sich an die Esmod und schreiben dort Wettbewerbe aus. K&L stellt den Studierenden in Aussicht, eine eigene Sport-Kollektion zu vermarkten – mit dem Namen des jeweiligen Modeschülers auf dem Etikett. Vorzulegen ist eine Kollektion zum Thema Sportsgeist. Für den besten Entwurf soll ein Wochenende in Paris den Anreiz steigern. Für Christina ist es eine von vielen Mappen, die sie gestalten muss. Anfangs hat sie nicht daran geglaubt den Wettbewerb zu gewinnen. Sie gibt ihre Entwürfe ab und widmet sich wieder ihren alltäglichen Aufgaben im Studium und verschwendet keinen weiteren Gedanken daran.

Mit strahlenden Augen fährt sie fort: «Wirklich einmal deinen Namen auf einem von dir designten Teil zu sehen, war einfach unbeschreiblich.» Christina kann den Wettbewerb für sich entscheiden. K&L bringt die Kollektion mit den zehn designten Teilen auf den Markt. Viele Freunde und Familienmitglieder kaufen sich die Stücke; sie selbst ersteht keines. «Meine Tante Maria hat mir gesagt, dass sie die Sportkleidung für mich aufhebt. So habe ich später auch noch eine physische Erinnerung daran.»

One More Story
Christina arbeitet nach dem Studium für das Label More & More. Ihre Chefin macht sich mit einem Kollegen selbstständig mit der Marke One More Story, ein Start-up von United Brands Fashion Lab. «Unsere Chefs haben nur Leute meines alten Arbeitgebers mitgenommen, von deren Arbeit sie auch überzeugt waren», so Christina. Sie ist zuständig für das Design im Segment Woven und beschäftigt sich mit Blazern oder Tops. «Von Beginn an herrschte bei uns tatsächlich so ein Start-up-Feeling. Das ist auch heute noch so. Ich bin hier angekommen.»

Andy findet mit der Zeit Gefallen an der Modebranche; anfangs steht sie dem Berufszweig kritisch gegenüber und sieht ihren Job in der Redaktion der Vogue nur als Sprungbrett. Mit der Zeit stellt sie jedoch fest, wie sehr ihr Privatleben darunter leidet: Führt sie eine Beziehung mit ihrer Chefin? Ihr stressiges Arbeitsumfeld übernimmt mehr und mehr die Kontrolle über sie.

Zurück zu dem Einleitungsgedanken von Miranda Priestly: «Wir brauchen jemanden hier, der überleben kann, verstehen Sie?» – ohne Rücksicht auf Moral und Toleranz? Für Christina ist es wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem sie sich wohlfühlt. Die Oberflächlichkeit, die sie in anderen Modeunternehmen erfährt, ist für sie nur schwer zu verstehen. Während ihres Studiums macht sie mehrere Praktika – unter anderem in der PR-Abteilung des deutschen Modeunternehmens Talbot Runhof in Berlin. Das Label wurde 1992 von Johnny Talbot und Adrian Runhof gegründet und firmiert seit 2000 unter dem Namen Talbot Runhof. Bekannt ist die Marke für extravagante Abendroben und zählt zu den bedeutendsten deutschen Labels. «Im Kontakt mit anderen Moderedakteuren war man in der Firma selbst immer bemüht, ein Nice-Face aufzusetzen», so Christina. Also sich möglichst gut zu verkaufen und wenig von seiner eigentlichen Persönlichkeit Preis zu geben. „Es hängt auch viel von der jeweiligen Firma ab,“ schränkt sie ein. «Wir gehen bei One More Story mit viel Herzblut an unsere Arbeit ran und versuchen viel Persönliches in unsere Kleidungstücke zu stecken. Innerhalb vom Mode-Business ist die Oberflächlichkeit weniger vertreten. Bei Abteilungen, die mit der Außenwelt kommunizieren, schon eher.»

Nigel: «Auf geht’s Mädels. Rafft die Röcke.»
Im Grunde ist auch in der Welt der Mode nur ein einziger Gedanke wichtig, den Nigel, Chef-Ausstatter in Der Teufel trägt Prada, Andy von Anfang an vermittelt: Wie drücke ich meine Persönlichkeit aus? Bei ihrer jetzigen Tätigkeit spielt für Christina die Oberflächlichkeit kaum eine Rolle. Doch sie ertappt sich manchmal selbst dabei, Personen auf der Straße nach ihrer Kleidung zu beurteilen – als sähe sie sich im Schaufenster oder auf Instagram Personen an, die verschiedene Kleidungsstücke und Stile tragen. Für sie ist das ein Teil ihrer Arbeit, sich Inspiration von anderen zu holen. «Das Gute an meinem Job ist, dass ich die eigene Zielgruppe bin. Ich denke mir: Würde ich das selbst tragen?» Sie wird ständig mit den neusten Kleidungsstücken konfrontiert; das verleitet auch dazu, die Dinge selbst kaufen zu wollen. «Wir stehen ständig im Kontakt mit Mode. Deswegen würde ich schon sagen, dass mein Kleiderschrank größer ist als der von anderen. Ich will mich da gar nicht rausnehmen», so Christina.

Der Fundus der Vogue, in dem wertvolle Kleidungsstücke schlummern, ist überdimensional groß. Während ihrer ersten Wochen im Unternehmen versucht Nigel Andy neu einzukleiden und mit ihr gemeinsam ihren eigenen Modestil zu kreieren. Anfangs noch unter der Anleitung von Nigel, probiert sie sich mit der Zeit selbst an immer neuen Kombinationen aus.

Emily zu Andy: «Nur damit Sie es wissen: Die Fußstapfen, in die Sie treten, sind sehr groß.»
Dieser Satz ist prägend für die Modewelt – ob im Film oder der Realität: Es gibt immer jemanden, der mit seinen Kreationen Spuren im Unternehmen hinterlassen hat. Die Person, die nachfolgt, hat ein großes Erbe anzutreten. Für Christina und ihre Kolleginnen ist es wichtig, ihre eigenen Ideen bei One More Story einzubringen. Als ihre Chefin nach kurzer Zeit das Unternehmen verlässt, sehen sie das als ihre Chance: Sie können ausarbeiten, worauf sie selbst Lust haben, und Trends kreieren, die ihnen persönlich wichtig sind. «Momentan reizt es mich nicht, was Eigenes zu machen. Im Gegensatz zu manchen Mitstudierenden hatte ich nie dieses Bestreben. Ich bin momentan fein mit dem, was ich habe», so Christina. Die Designerin hat sich in ihrem Job widergefunden.

Andy verlässt nach einer aufregenden Zeit die Redaktion der Vogue. Sie ist stolz, die Arbeit unter der berüchtigten Miranda Priestly gemeistert zu haben – sie hat den Teufel bezwungen. Die oberflächliche Welt lässt sie hinter sich und widmet sich voller Elan ihren neuen Aufgaben in der Redaktion einer New Yorker Zeitung.