Ohne Moos nix los? Das neueste Smartphone, das teuerste Auto oder ein neues hippes Designerstück – das alles zählt im 21. Jahrhundert. Nicht aber für Raphael, er lebt mit seiner Familie komplett ohne Geld. Doch ist so ein Leben in der heutigen, von der Industrie bestimmten und nach Konsumgüter gierenden Welt überhaupt möglich?

Für unsereins ist Geld wie die Luft zum Atmen. «Hast du was, bist du was!», dieser Grundsatz ist in den Köpfen eines Großteils unserer Gesellschaft verankert. Doch Raphael Fellmer verdient nichts und bezahlt nichts. Er hat sich vor einigen Jahren die Frage gestellt: «Wie behandle ich die Erde?» seit fünf Jahren lebt er nunmehr im Geldstreik, denn Geld erzeugt in seinen Augen nur grenzenlose Illusion. Doch würden wir noch arbeiten, wenn wir kein Geld mehr dafür bekommen würden. «Ich habe zu wenig Geld, um mir billige Sachen zu kaufen», so Raphael. Damit kritisiert er das «kapitalistische System», das nur auf Profit aus ist und bewusst geringe Nutzdauern schafft, sei es beim Handy oder beim Fernseher. Auch wenn er ohne diese Dinge auskommt, rät der Berliner denen, die es nicht schaffen ohne ihre Hightech-Geräte zu leben, lieber etwas tiefer in die Tasche zu greifen, um länger Freude an dem Produkt zu haben. Doch die Masse ist der Meinung, dass es nun mal so ist, dass das kapitalistische System das einzige ist, das bisher funktioniert hat. «Alles was draußen passiert, hängt mit uns und unserem Handeln zusammen».

Der gebürtige Berliner hat sich für das einfache Leben entschieden freiwilliger Verzicht, nennt er das. «Ich führe einen Geldstreik gegenüber den perversen Themen wie zum Beispiel Luxusgüter». Er war es leid, sich der Masse zu beugen, die in seinen Augen alle über ihre Verhältnisse leben. Aber Aussagen von ihm wie: «Brauchen wir alle ein eigenes Auto, wenn man auch mit den Öffentlichen fahren kann?» stimmt viele ärgerlich, denn durch das verwenden von wir anstelle von ich zeigt er keinerlei Demut. Der Großteil von uns wächst in einem komfortablen Zeitalter auf und möchte diese Komfortzone auch nur ungerne verlassen.

Der Weg hin zum geldlosen Leben

Raphael hingegen wollte das Unmögliche versuchen, um Neues möglich zu machen. Dennoch als Prophet sieht ihn nicht jeder. Dabei ist er in einem bürgerlichen Elternhaus aufgewachsen, es fehlte ihm an nichts. Er besuchte das Gymnasium und entschied sich nach bestandenem Abitur für ein European Studies in Den Haag. Bis dahin lebte er ein klassisches Leben. Aber er begann schon in jungen Jahren zu zweifeln, wie es denn sein könne, dass so viel Ungerechtigkeit und Leid auf Erden herrscht, obwohl wir uns doch alle im Herzen nach Frieden und Liebe sehnen. Mit zwölf Jahren verdiente er bereits sein erstes Geld und ihm wurde erstmals der Bezug zum Geld und der zu erbringenden Arbeitsleistung bewusst. Wie fast alle Menschen aßen auch er und seine Familie Fleisch, Fisch und andere tierische Produkte. Doch Tier- und Umweltschutz stellte für ihn schon früh ein wichtiges Thema in seinem Leben dar und er engagierte sich für den WWF und Greenpeace. Durch organisierte Spendenaktionen sammelte der heute Dreißigjährige damals Geld für Umweltorganisationen. Mit viel Geld, so glaubte er, könne man den finanziell Schwachen helfen.

Der Beginn seines geldlosen Lebens. Mit 27 Jahren beschloss Raphael eine Reise nach Mexiko anzutreten mittellos, versteht sich. Hiermit begann sein heutiges Leben ohne Geld, denn er erlebte auf seiner Reise bedingungslose Hilfe, Verbundenheit, Gastfreundschaft und was es heißt zu teilen. Solch ein Band der Menschlichkeit hatte er zuvor noch nie erlebt. Reisen ohne Geld scheint unmöglich zu sein, doch ist es durch grenzenloses Vertrauen in fremde Menschen, ihre Kulturen und somit der Begegnung anderen gegenüber möglich, wenn man sich ihnen öffnet. Mit Vertrauen in die Menschen, um Wandel in den Köpfen der Gesellschaft hinsichtlich Nächstenliebe hervorzubringen. Geldfrei leben heißt, einen einfachen Lebensstil zu pflegen und keine Scheu zu haben, nach Essen zu tauchen, wie Raphael so schön zu sagen pflegt. Durch Mülltauchen oder Containern, wie es in seinem Kreise heißt, besorgt er sich alle Verbrauchsgüter wie Mahlzeiten, Pflegeprodukte oder Getränke. Viele empfinden diese Art von Essensbeschaffung als respektlos gegenüber dem Rest, der täglich sein hart verdientes Geld für Lebensmittel ausgeben muss. Entspricht der Apfel nicht der von uns erwarteten Norm, wird er aussortiert und landet hinter dem Supermarkt in einer riesigen Mülltonne, wo sich bereits Lebensmittel befinden, die das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten haben.

Foodsharing gegen den Wegwerfwahnsinn

Allein in Deutschland werden jährlich zwanzig Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Wir zählen zu einer Wegwerfgesellschaft und verfallen in den Wegwerfwahnsinn, wenn das MHD bereits um einen Tag verfallen ist und in uns Panik aufsteigt, wir könnten uns etwas einfangen, wenn wir den Artikel trotzdem ohne Weiteres verspeisen würden. Das Denken von vielen «Alles muss immer da und greifbar sein» verärgert Raphael, weil durch diese in seinen Augen falsche Einstellung ein Großteil an regionalen Produkten nicht die Beachtung bekommt, die sie verdient hätten. Im Dezember möchten beispielsweise viele schon Erdbeeren, die erst ab Mitte Mai von deutschen Bauern angeboten werden können. «Viele schätzen nicht die saisonal regional erhältlichen Produkte.» Wenn wir uns ändern und Bewusstsein schaffen, werden sich auch Supermärkte ändern, so der Berliner.

Dieser Grundsatz verhilft Raphael dazu eine Plattform zu gründen, die Lebensmittel vor ihrer völlig sinnfreien Vernichtung rettet: foodsharing. Durch Kooperation mit Supermarktketten in Berlin wird es ihm möglich gemacht, zweimal pro Woche Lebensmittel, die er zuvor containern musste, legal zu erwerben. Das Absurde ist nämlich, dass Mülltauchen nach weggeworfenen Produkten eine Straftat darstellt, keine Ordnungswidrigkeit dagegen ist es, wenn Bauern ihre Felder nicht abernten und dadurch dutzende Kartoffeln beispielsweise vergammeln. Seine Organisation rettete bereits circa eine Million Kilo Lebensmittel.

Sein Wunsch ist es die Plattform in Zukunft auch international zugänglich zu machen, denn foodsharing ist eine Initiative, um Foodsaver und Botschafter zu organisieren, Lebensmittel von Einzelhandelsbetrieben aller Art zu retten. Seit Mai 2013 haben sich bereits über 10.000 ehrenamtliche Menschen, die etwas gegen die Lebensmittelverschwendung unternehmen möchten, auf der Plattform angemeldet. Viele Freiwillige retten schon aktiv in über tausend Firmen. Die Plattform basiert zu hundert Prozent auf ehrenamtlichen und unentgeltlichen Engagement. Das liege dem Berliner besonders am Herzen. «Die einzige noch bezahlte Stelle ist der Minijob der Geschäftsführerin», so Raphael. So wie das Konzept des Nahrungsmittelrettens ist auch die Plattform kostenlos. Wobei die Kosten für beispielsweise E-Mail-Konten und Domain von ihrem grünen Webhosting-Partner Greenstar.de übernommen werden. Das zeigt, dass immer Kosten anfallen, auch wenn anfangs alles so schön kostenlos und ohne Geldmittel dargestellt wird. Daher gibt es über seine Plattform geteilte Meinungen. Der Berliner bestätigt «nur durch Kooperation wird das Projekt weiter Bestand haben.» Wir nehmen uns die Zeit, alles so gut wie möglich zu machen, bevor wir den nächsten Schritt gehen», so Raphael über die Entwicklung seines Herzstückes.

Auf die Unterstützung anderer angewiesen

«Ende der Lebensmittelverschwendung» nennt er das Vorgehen seiner foodsharing-Mission. Das Bewusstsein auf Unsichtbares zu lenken, so Raphael, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Daher ist er überzeugter Veganer und sieht in der pflanzlichen Ernährung einen ökologischeren Lebensstil als jene, die es vorziehen, sich von Fleisch und tierischen Produkten zu ernähren. «Wir kaufen uns von unserem Gewissen frei», so Raphael, weil wir denken, dass ein Fairtrade-Siegel eine bessere Welt hervorrufen wird. Dennoch belegen Recherchen, dass bei Fairtrade-Produkten unter besseren Bedingungen produziert wird. Eine-Welt-Laden-Besitzer sind über Raphaels Aussage sichtlich empört. Leben auf Kosten anderer Aufgrund seiner Bekanntheit haben seine Familie und er immer wieder großes Glück und so können sie unter anderem umsonst bei Menschen leben, die aus freien Stücken heraus helfen. «Ich äußere mich nicht zu Kommentaren wie diesen», so Raphael zu Zwischenfragen, die deutlich machen, dass er auf Kosten anderer lebt.

Er habe kein schlechtes Gewissen zuzugeben, dass durch die Unterstützung der Gesellschaft sein Lebensstil nicht möglich wäre. Das kostenlose Einbringen in die Gesellschaft stößt dennoch bei manchen auf Missverständnis, weil wir hart für unser Leben, sprich Wohnung und Ernährung, arbeiten müssen. Er sieht sich nicht als Schmarotzer, auch wenn er solche Aussagen oftmals zu hören bekommt. Negative Erfahrungen bringen viele zum Innehalten und Nachdenken, so der Dreißigjährige. Doch negative Meinungen lässt er nicht an sich ran und überspielt diese ganz einfach mit einem Lächeln. In seinen Augen ist er kein Aussteiger sondern Einsteiger, indem er aufzeigt: «Weniger ist Mehr!» Dennoch gibt er bei Fragen, die seine Person in irgendeiner Weise angreifen oder darauf abzielen sein Leben zu kritisieren keinerlei Antworten.

Das große Ganze beginnt beim Einzelnen

Es bleibt die Frage: «Was kann konkret getan werden, um unnötige Verschwendung in Deutschland zu vermeiden, oder ist es für unsereins auch möglich, ohne Geld zu leben?» Raphaels Tipps sind: selbst anfangen sich zu verändern, sei es beim Konsumverhalten, aber auch bei dem Grundsatz «Geld regiert die Welt». Als Leitidee für ein ökologisches Leben sieht er: alles hinterfragen, Verantwortung übernehmen, verweigern, reduzieren, wiederverwerten und teilen. Durch bereits vorhandene Plattformen wird es möglich, auf leichte Art und Weise Geld zu sparen, zum Beispiel durch Mitfahrgelegenheiten, Couch-Surfing, Car-Sharing oder aber auch durch die von Raphael gegründete Organisation foodsharing. Es bedarf nicht an Geld, um glücklich zu sein, sondern an Beziehung zu unseren Mitmenschen, der Natur und uns selbst.

Seine eigene Zukunft sieht Raphael in Spanien, wo er mit seiner Familie bereits ein eigenes Ökodorf aufbaut, um ohne Ausgaben auf einer geldfreien Ebene leben zu können. Auch die Schulpflicht für seine beiden Kinder könnte er damit umgehen. «Schule – Nein danke!» ist die Antwort auf Fragen nach der Schulbildung seiner Kinder. Diese Aussage trifft bei einigen Menschen einen wunden Punkt, denn Bildung ist in der heutigen Zeit, mehr als je zuvor, gefragt. Nach Aussagen von Raphael ist Schule nicht nur ein nerviger Pflicht- und Kostenfaktor, sondern engt die Kinder in ihrem Freigeist ein und bringt ihnen nicht die nötigen Kenntnisse des Lebens bei. Das Schulwesen sei veraltet und die «freie Entfaltung» seiner Kinder liege ihm weitaus mehr am Herzen, als dass diese das Einmaleins beherrschen. Seine Vision, mehr Nachhaltigkeit zu schaffen und den Blick auf Ökologie zu wenden, versucht der Berliner weiterhin durch seine Vorträge, Interviews, aber auch durch sein bereits erschienenes Buch «Glücklich ohne Geld» an die Menschen zu bringen.