Michael, 26 Jahre alt: Musiker, Medizinstudent und Kiffer. Seine Einstellung zum Kiffen: wissenschaftlich belegt.
Meistens hängen ihre Hosen weit unterm Schritt. Man erkennt sie an ihrer etwas zu langsamen, gediegenen Art. Immer etwas zerzaust, etwas verplant und nie zu einhundert Prozent bei der Sache. Dieses Kopfkino blendet sich wahrscheinlich bei den meisten ein, wenn es sich um Kiffer dreht. Michael überrascht schon mal mit einer ordentlich sitzenden Hose und auch seine Einstellung zu Gras ist wohl alles andere als Klischee. Michael absolviert gerade sein praktisches Jahr im Krankenhaus und ist, was das Kiffen betrifft auch fleißig.
«Im Laufe meines Studiums habe es ich als Alternative zum Alkohol für mich entdeckt: Teils über mein Musikerumfeld, größtenteils habe ich mir das aber vermutlich von meinen Mitbewohnern abgeguckt und ganz ehrlich, auch nur wenige Kommilitonen sind dem Kiffen wirklich abgeneigt.» Für Michael ist es selbstverständlich, dass sich seine Lebensereignisse nicht überschlagen, eine strikte Trennung von Arbeit und Freizeit ist für ihn ein Muss: Während der Arbeitszeit ist er deshalb nie bekifft. Auch in Stresssituationen reduziert er die Droge eher, als wie viele andere sich von ihr in einen Sumpf ziehen zu lassen – so bleibt er fokussiert. Er hat sein Medizinstudium in der Regelzeit durchgezogen und ist dabei auch noch einer der besten Studenten gewesen.
Der sechsstündige Gras-Marathon zügelt den Durst
«Selbst wenn sie es in meiner Arbeit merken, was ich so in meiner Freizeit mache, Angst vor einer Kündigung habe ich nicht. Gerade die sollten wissen, dass es weitaus Schlimmeres gibt als zu kiffen. Schließlich waren es ja auch die Mediziner, die uns doch genau erklärt haben, wie man jegliche Drogennachweise geschickt übergeht – Sag definitiv nein zum Urintest! Insgesamt hat mich das Kiffen weder beeinträchtig noch weitergebracht. Der Vorteil vom Kiffen ist einfach der ausbleibende Kater – vergleichbar mit zwei Gläsern Wein am Abend. Was man aber wirklich sagen muss, kiffen macht einen extrem faul. Wir haben dann meistens nicht mal mehr Lust wegzugehen. Es verändert auf eine gewisse Weise die Wahrnehmung. Für mich ist es aber auch absolute Entspannung, abschalten. Ich habe viel zu tun: Das Studium, die Doktor Arbeit, die Band, eine eigene Wohnung, da tut das einfach richtig gut runter zu kommen. Ich kann mich dann auch viel besser auf einen guten Film oder Musik konzentrieren! Bei so manchen Partys ist dann auch schon über sechs Stunden dauernd ein Joint an – dafür wird am Alkohol gespart, der überdeckt sowieso nur den Rausch vom Kiffen!» Seinen Facharzt würde Michael gerne in der Tropenmedizin machen. Mit etwas Geschick steht ihm eine große Karriere bevor. «Ich kann mir vorstellen, irgendwann komplett mit dem Rauchen aufzuhören. Aber sobald ich in Rente gehe, gebe ich so richtig Gas mit dem Kiffen – vielleicht mit eigener Plantage.» Dabei kommen die größten Verfechter der Legalisierung von Marihuana gerade aus dem medizinischen Bereich. Es sind die Psychiater, die in dieser Droge einen Treiber für Schizophrenie sehen.
Eine Paranoia ist bei mir noch nicht aufgetreten
«Marihuana kann schwere Nebenwirkungen haben. Ich würde nie im jungen Alter kiffen. In diversen Praktika bin ich vielen jungen Leuten begegnet, die im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch Schizophrenien und andere psychische Erkrankungen erlitten haben. Schizophrenien treten am häufigsten im Alter von 20 bis 30 Jahren auf. Ich kann mir also ziemlich sicher sein, dass ich aus der Nummer raus bin, deshalb gönne ich mir das. Eine Paranoia davon ist bei mir auch noch nie aufgetreten. Vielleicht bin ich psychisch etwas süchtig nach Gras, schließlich ist es nachgewiesen, dass jede Substanz eine Sucht auslösen kann. Eine körperliche Abhängigkeit von Marihuana hingegen konnte in medizinischen Studien nicht nachgewiesen werden.
Trotzdem bin ich eher dafür Marihuana zu legalisieren.
Nehmen wir nur mal das Oktoberfest als Beispiel, wo viel Gewalt in Form von Vergewaltigungen oder Schlägereien durch Alkoholeinfluss provoziert wird. THC macht zwar faul, aber friedlich.» Zusammengefasst bis zum jetzigen Standpunkt scheint Kiffen laut Michael alles andere, als negativ zu sein. Keinen Kater am nächsten Morgen, einen friedlichen Rausch, Filme sehen mit «erweitertem Horizont». «Ich bin absolut dagegen, dass Jugendliche sowas machen. Die Jugend, die Pubertät ist die Zeit, in der sich Persönlichkeit und kognitive Fähigkeiten entwickeln. Man wird faul, lebt in den Tag hinein und arbeitet nicht für seine Zukunft. Der Umgang mit dieser Droge erfordert viel Verantwortung. Es bleibt eine illegale Droge und man fördert damit ja auch noch die Kriminalität. Ich bin zwar für die Legalisierung, aber unter hohen Auflagen und strenger Kontrolle. Ob man die Kontrolle behält ist die Frage. Mal abwarten, wie das jetzt in Colorado und Washington abläuft. Im Endeffekt ist es eigentlich eine harmlose Droge, die aber für Jugendliche tückisch sein kann.» Seine Erfahrungen bei Praktika in Drittweltländern ließen Michael allerdings merken – nicht nur Jugendliche kann diese Droge negativ beeinflussen.
Das sind ganz andere Dimensionen
«In diesen Ländern wird Marihuana in ganz anderen Dimensionen konsumiert ‒ da sind schon mal 10 bis 20 Joints auf der Tagesordnung, ohne den Zusatz von Tabak. Dadurch entsteht eine Zweiklassengesellschaft. Die Dauer-Highen sind zu glücklich, um noch was anderes zu machen, als zu konsumieren. Dort ist der Tabak im Allgemeinen teurer als Gras – das wächst sprichwörtlich am Wegesrand. Illegal ist es in diesen Ländern nur, damit der Staat und die Polizei Bestechungsgelder kassieren können. Allerdings habe ich bei diesen Lebensumständen Verständnis für die Leute – jeder braucht doch Glück und das ist dort nun mal oft der einzige Weg, sich dieses, wenigstens für kurze Momente, zu erhaschen. Naja, wenn es ums Kiffen geht: Klar, haben wir da ab und an mal einen mehr gekifft, als sonst. Allerdings hat mich das ganze dort auch nachdenklich gemacht. Aber, wie bereits gesagt, das sind aber auch einfach ganz andere Dimensionen.» Michael trinkt den letzten Schluck Wein, den er sich zur Entspannung eingeschenkt hat und lacht.
«Achja, wir nennen es auch sehr gerne Lernkraut!»
Verblüffend, wie das Vorurteil gegenüber Kiffern zerbröselt. Seine Einstellung ist schockierend ehrlich und erstaunlich realistisch. Michael gehört definitiv nicht in das 0815 Schema eines Kiffers. Ob nun die Ausnahme die Regel bestätigt? Wie auch immer es sei, Michael ist wahrscheinlich einer von sehr wenigen Konsumenten die dieses Thema kritisch beäugeln und sich mit Pro und Contra auseinandersetzen, denn was die schwerwiegenden Nebenwirkungen betrifft, die auftreten können, davon ist das Kopfkino der Meisten wohl weit entfernt. Morgen ist Michael einer von den Göttern in Weiß, doch spätestens am Freitag wird wieder der «Horizont erweitert».