Sein Essen auf Instagram möglichst schön und verlockend zu präsentieren, ist schon längst ein Hit. Bei vielen Bloggern und Fotografen steht das Essen im Fokus. Auch die Künstler der Eat Art, wie Stefanie Weigl, rücken Lebensmittel in den Mittelpunkt ihres kreativen Prozesses.
Für Außenstehende muss es unheimlich komisch aussehen: Eine Gruppe Menschen, alle mit einem Geschirrtuch um den Kopf oder den Hals, sitzt auf dem Boden der Eingangshalle des Nürnberger Flughafen. Sie schälen und schneiden unter der Leitung einer jungen Frau das Gemüse für einen Eintopf. Die Passanten sind verwundert, erstaunt, einige auch erheitert. Die Aktion endet als ein Wachmann die Gruppe bittet, den Boden des Terminals zu räumen. Ohne sich dagegen zu wehren, jedoch eindeutig erheitert, verlässt die Gruppe den Flughafen in Richtung U-Bahn. Auch der Wachmann wirkt belustigt und schüttelt ungläubig den Kopf.
Performances wie diese entspringen der Feder von Stefanie Weigl. Sie ist Eat Art-Künstlerin. Eat Art – das ist eine Kunstform, die um 1960 dem Nouveau Realismé entsprang. Hauptmerkmal dieser Kunstform ist es Lebensmittel in die Kunstwerke oder Kunstperformances zu integrieren. Dabei geht es weniger um Ästhetik – Eat Art ist nicht nur l’art pour l’art. «Unter den Begriff Eat Art fallen vor allem sowohl Objektkunst als auch Kunstperformances. Stillleben und Food Fotografie würde ich allerdings nicht zwingend als Eat Art bezeichnen», stellt Weigl klar.
Von einer Design-Studentin zur Eat-Art-Künstlerin
Allerdings: So sehr unterscheiden sich der Ursprung von Weigls Idee zur Eat Art und die eines Food Bloggers gar nicht. «Durch mein Designstudium habe ich sehr viel fotografiert. Und ich wurde zum Beispiel bei Klassenfahrten immer darauf angesprochen, dass ich mir besonders viel Mühe gäbe, mein Frühstück schön anzurichten. Für mich war das normal, ganz banal, ich machte das ja jeden Tag – aber es kam tatsächlich immer wieder vor, dass ich dafür gelobt wurde. Also wurde mir bewusst, dass ich scheinbar anders frühstücke als andere, und habe deswegen angefangen, ein Jahr lang, jeden Morgen mein Frühstück zu fotografieren.» Immer neue Ideen und Themen seien darauf hin entstanden, die sie bearbeitet habe, so Weigl. «Als es dann in der Akademie hieß, finde deinen eigenen Bereich, habe ich mich eben durch mein Designstudium auf die Aspekte der Eat Art bezogen. Den Begriff der Eat Art habe ich überhaupt erst durch mein Studium kennengelernt. Die Professoren haben mich dann auch dabei unterstützt und mir auch zum Beispiel Rikrit Tiravanija vorgestellt, der ebenfalls ein sehr bekannter Künstler ist.»
Heutzutage hat sich Weigl auf – wie sie es nennt – «installative Kochperformances» spezialisiert. Der Titel «Krisenherde» ist dabei nicht zufällig gewählt. «Meistens baue ich eine Küche auf, die sich auf ein bestimmtes Thema bezieht, zum Beispiel Syrien oder Ukraine. Ich versuche also immer, mich mit Konflikten, die in den Medien aktuell präsent sind, auseinanderzusetzen – sowohl politisch als auch mit der Küche des jeweiligen Landes – und diese Themen in meine Performances einzubinden. Den Besuchern meiner Performance bietet sich dann zum einen eine Plattform für politische Diskussionen, zum anderen kann ich ihnen auch einen kleinen Einblick in die Lebensweise des Landes gewähren, insbesondere in deren Esskultur.»
Die Wurzeln der Eat Art
Inspiriert werden Weigl und viele andere Künstler der Eat Art vor allem durch einen: Daniel Spoerri. Den Begriff der Eat Art prägte Anfang der 1960er Jahre vor allem er. Mit seinen sogenannten «Fallenbildern» machte er die Eat Art populär. Diese «Fallenbilder» waren Tische, bei denen nach einem ausgiebigen Abendessen alle darauf befindlichen Gegenstände – Teller, Besteck, Gläser, Vasen, Essensreste, ja sogar die Blumen in den Vasen – auf der Tischoberfläche festgeklebt und das Ganze mit der Tischunterseite an der Wand aufgehängt wurden. «Spoerri gehörte zu einer Gruppe namens Nouveau Réalistes. Ihr Ziel war es, neue Materialien in die Kunst zu integrieren. Dazu gehörten eben auch Alltagsgegenstände. Der Objektkünstler Arman sammelte Gegenstände auf der Müllhalde und stellte diese aus, Duchamp stellte eine gebrauchsfertige Toilette aus und erklärte diese zur Kunst. Und Spoerri brachte Lebensmittel mit ins Spiel und kreierte unter anderem seine Fallenbilder», erklärt Weigl. Die junge Künstlerin steht neben ihrer Tätigkeit als Eat-Art-Performerin auch am Anfang ihrer Laufbahn als Kunstlehrerin. Sie hat sich schon während ihres Designstudiums ausgiebig mit dem Begriff und der Geschichte der Eat Art auseinandergesetzt. «Ich denke, Spoerri ist für jeden Eat Art-Künstler irgendwo ein Vorbild.» Wenn auch Spoerri wahrscheinlich mit Abstand der bekannteste Eat Art Künstler ist, gibt es neben ihm natürlich noch viele andere, wie zum Beispiel Rikrit Tiravanija, der sich wie Weigl auf Kochperformances spezialisiert hat, und Ferran Adrià, dem Pionier der Molekularküche.
Der Ausbruch aus einer Komfortzone
Oft wird Weigl eingeladen bei Ausstellungen, einen Beitrag zu leisten. Bei einer anderen Performance zum Beispiel, erzählt Weigl, habe sie Würste aus Fast Food hergestellt. Dazu habe sie Burger, Pizza und andere schnelle Leckereien zubereitet, um sie anschließend zu pürieren und in Wurstdärme zu füllen, was dann die Besucher essen konnten. «Ich hatte auch einen riesen Topf Linseneintopf mit dabei, den ich selber abgrundtief hasse», sagt Weigl mit einem Schmunzeln, «aber die Besucher waren begeistert und fanden es tatsächlich auch noch lecker! Irgendwann musste aber die Feuerwehr kommen, weil die Würste so sehr geraucht haben, dass die Feuermelder angegangen sind. Es ist zum Glück aber alles gut ausgegangen.» Weigl war es wichtig, mit diesem Projekt an ihre Grenzen zu gehen und über ihren Ekel hinweg zu kommen. «Das war schon extrem für mich!»
Dass sie sich immer wieder aus ihrem Komfortbereich herausbegibt, zeigt die folgende Aktion, die in Zusammenarbeit mit dem Z-Bau, einem Kulturzentrum in Nürnberg, entstanden ist: «Im Z-Bau treffen viele verschiedene Menschen aufeinander: Künstler, Punks, allgemein ziemlich viele kreative Personen. Oft haben sie wenig Geld zur Verfügung. Die Idee war, dort günstig einen Ofen hinzustellen. Das haben wir dann in Form von sogenannten Hobokochern realisiert.» Bei der Aktion versuchte Weigl, Essen so zuzubereiten, wie ein Obdachloser. «Ich habe Knochen ausgekocht und mit Gemüse, das ich von einer lokalen Bäuerin geschenkt bekommen habe, das Ganze zu einer riesigen Reste-Suppe verarbeitet und in einem solchen Dosenkocher gekocht.»
Den Blickwinkel verändern
Dabei geht es bei den Aktionen nicht nur rein um den Geschmack: «Natürlich soll das Essen genießbar sein und sogar gut schmecken, vielleicht sogar sehr gut», sagt Weigl. «Aber mir geht es eher darum, vielleicht seinen Blickwinkel auf das Alltägliche zu verändern, vielleicht selber seinen Alltag zu verändern.» Es geht Weigl also unter anderem um die Wertschätzung für die Lebensmittel. Was die alten Griechen schon mit der Sage über den gierigen König Midas aussagen wollten, verfassen Künstler wie Weigl oder Spoerri in der Kunst neu. In der Sage verspricht Dionysos König Midas einen Wunsch zu erfüllen. Der gierige Herrscher wünscht sich daraufhin, alles, was er anfasse, soll zu Gold werden. Midas vergisst darüber hinaus nur: Auch das Essen, dass er anfasst, wird zu Gold wie auch der Wein den er trinkt. Sein Wunsch lässt sich nur rückgängig machen, weil Dionysos Mitleid mit dem König hat.
Die Wertschätzung von Lebensmitteln ist auch in Spoerris Kunst immer wieder ein zentraler Punkt: zum Beispiel seine Tabubrote von 1961; Brote, in die Müll eingebacken wurde und mit denen er versuchte, auf die Verschwendung von Lebensmitteln aufmerksam zu machen. In einem Interview sagt er dazu: «Allein in der Stadt Wien werden heute jeden Abend viele Tonnen Brot nach Geschäftsschluss weggeschmissen.» Viele erkennen heutzutage nicht mehr: wahrer Reichtum besteht nicht aus Luxusgütern, sondern allein schon darin, in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder genug zu essen hat. «Die Banalität des Alltäglichen lässt uns häufig vergessen, dass wir auch mit dem, was wir essen, eine ganz andere Lebensqualität erreichen können», so Weigl, «Häufig kann man das schon schaffen, indem man kleine Dinge verändert – vielleicht indem man mit seinem gekochtem Essen vor die Haustür geht.»
«Jeder ist Künstler»
Wer sie immer wieder inspiriert, sagt Weigl, sei Joseph Beuys. Er hat in den Sechzigerjahren einen Satz geprägt: «Jeder ist Künstler» – der Mensch als soziale Plastik. «Was Beuys damit ausdrücken will, ist, dass jeder die Chance hat, sich auch im Alltag kreativ ausleben zu können, dass man nicht nur lebt, sondern reflektiert und vielleicht auch immer wieder Veränderungen vornimmt. Solche Eat Art-Projekte wie meine sind vielleicht so eine Veränderung im Kleinen, aber sie können vielleicht Großes bewirken. Kleine Veränderungen machen eben manchmal ganz viel aus. Das ist, was ich den Menschen weitergeben möchte. Ich will die Leute dazu einladen, vielleicht auch über das Essen sich selbst mit der Kunst auseinanderzusetzen.» So wird Eat Art eben nicht l’art pour l’art – es geht nicht darum, Essen besonders schön oder ästhetisch erscheinen zu lassen; vielmehr darum, seinen Wert schätzen zu lernen und vielleicht auch, den ein oder anderen zum Umdenken anzuregen.