Himmel – so weit ich blicken kann. Blau. Türkisblau, Saphirblau oder Cyanblau hätte sie es genannt. Schmerz, stechender Schmerz. Kneife angestrengt meine Augen zu. Fühle mich gefangen, kann nicht atmen. Stechen am ganzen Körper – doch nichts um mich. Nichts. Nicht mal vier Wände.
Keine Anweisung, keine Routine, keine Monotonie – zu viele Eindrücke. Häuser, wo vorher Bäume standen. Autos, deren Marke ich nicht kenne. Menschen, deren Kleidungsstil so anders ist als meiner. Ich sehne mich nach Dunkelheit. Meine Ohren empfindlich für jeden Laut – Knistern, Knattern, Knallen. Ich quäle mich in eine Seitengasse, meine Hände eiskalt. Sehne mich nach etwas Vertrautem. Mein Zuhause, meine Frau – unwichtig.
Sie hoffte die Tage seien länger als 24 Stunden. Alles hatte sie verändert – Haarfarbe, Kleidungsstil, Figur. In ihren trüben, blauen Augen keine Veränderung – derselbe Schmerz wie damals. Sie wünscht ihn sich einfach nur weg – den heutigen Tag. Ich weiß es. Es ist der Tag, an dem ich zurückkomme. Sicher würde sie noch da sein, das hatte sie versprochen. In guten wie in schlechten Zeiten – bis der Tod uns scheidet. Ich würde sie kaum wiedererkennen nach 25 Jahren, aber ich würde sie finden. Dort in der ruhigen Seitenstraße, nahe der Stadt gelegen, ein kleines vom Efeu bewachsenes Haus, nicht weit von hier.
Heute ist sie sorgfältiger als sonst. Wieder zu Hause durchsucht sie jeden Raum strengstens nach einer Veränderung oder Auffälligkeit. Jedes Auto, das durch die Straße fährt, beobachtet sie genau. Den Schlüssel der Wohnungstür umdrehen bis zum Anschlag, drei- oder viermal. Ein letzter Blick durch den Spion, Kette einhängen. Einen Tag später meldet sie sich krank, das Haus verlässt sie nicht. Die Tür verriegelt – umsonst.
Ihre Routine. Routine – gelernt von mir. Nicht selten ohne die notwendige Gegenmaßnahme. Routine, nach der ich mich sehne.
Drei Tage ist es jetzt her. Ich genieße jeden Tag, an dem ich mich im Revier melden muss. Dann ist sie für kurze Zeit wieder da – die Routine. Meine Wohnung – zugewiesen von einem Beamten, den ich nie gesehen habe. Hell durchflutete Räume. Ein alter Sekretär aus Teakholz. Daneben ein Gummibaum mit verstaubten Blättern – der Wuchs zum Licht gewunden. Teppiche mit orientalischen Mustern aneinandergereiht – die Fransen verklebt oder abgerissen. Keine Bedeutung. Keine Befehle. Was ich will, wo ich will, wie lange ich will. Fremd für mich. Mehr als die Hälfte meines Lebens bin ich klare Vorgaben gewohnt. Sie hat alles vorbereitet. Geplant bis ins Detail – ganz nach meiner Vorstellung.
Die dunklen Seitengassen geben mir etwas Vertrautes zurück. Eine bekannte Stimme. Der Blick fällt auf mich. Lautes Brüllen fordert mich auf stehen zu bleiben. Ein Zucken schießt durch meine Beine. Ich sollte laufen. Doch mein Kopf wehrt sich. Jede Bewegung fällt schwer. Gleich würde es passieren. Schritte eilen heran. Ein Griff. Ein Stoß. Mein Gesicht gegen eine feuchte Hauswand gepresst. Handschellen klicken. Ein kleiner Raum, gedimmtes Licht. Meine Beine im 90-Grad-Winkel. Die Hände flach auf dem Tisch. Das monotone Auf- und Abgehen des Beamten beruhigt mich. Ein vertrautes Gefühl. Sie haben sie gefunden – tot. Unter einer Brücke. Freiwillig sei sie nicht gesprungen, heißt es. Harte Worte: Ich soll gestehen. Die Unschuld würde mir niemand glauben. Unschuld – dieses Wort kommt in meiner ganzen Akte nicht vor. Heute brauche ich keinen Anwalt, der meine Schuld mit Worten verharmlost – heute bin ich unschuldig. Eine Lüge, grausam und berechnend – die Rettung für mein Leben. Ihr Freiheitsgeschenk an mich – bezahlt mit ihrem Leben.
Himmel – reines Blau scheint durch die kleine Luke meiner Zelle.