Karriere und Kinder. Für viele Frauen in Deutschland bedeutet das, eine Entscheidung treffen. Annette Kümmel ist Senior Vice President bei der ProSiebenSat1 Media. Sie hat es geschafft und ist die Karriereleiter nach oben geklettert. Und das mit Kind.
Wie war dein Bildungsweg aufgebaut?
Ich habe ganz normal Abitur gemacht. Ich wollte danach nicht studieren, sondern habe eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht. Nach drei Monaten in der Ausbildung habe ich aber festgestellt, dass diese Entscheidung korrigiert werden muss. Ich habe die Ausbildung abgeschlossen, aber danach studiert, und zwar Publizistik mit Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft im Nebenfach. Während des Studiums habe ich schon sehr viel gearbeitet, um so ein bisschen herauszufiltern, wo ich hin will. Auf diese Weise bekam ich die Chance, als studentische Hilfskraft beim Sender zu arbeiten. Und da bin ich im Grunde hängengeblieben. Eine Karriereplanung habe ich nie gemacht, sondern Opportunitäten, Möglichkeiten wahrgenommen, aufgegriffen und umgesetzt.
Wann hast du beschlossen, richtig Karriere machen zu wollen?
Für mich war immer klar, wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Und richtig heißt für mich mit Herzblut und Engagement. Ich bin jemand, der schnell und gut Entscheidungen treffen kann und trifft. Das hilft einem auf dem Karriereweg. Aber ich habe für mich nie eine Lebensplanung oder eine Karriereplanung gemacht, sondern einfach geschaut, was ist, was sich ergibt und dann Entscheidungen getroffen.
Und wann hast du die Entscheidung getroffen, ein Kind zu bekommen?
Auch diese Entscheidung war eine, die sich ergeben hat und die ich angenommen habe. Ich meine, so etwas kommt natürlich nicht einfach. Ich war mit meinem damaligen Partner zusammen und dann wurde ich schwanger. Es gab an keiner Stelle die bewusste Entscheidung: Jetzt ist der Zeitpunkt für ein Kind. Hätte ich sie treffen müssen, wäre sie sicher nicht zu diesem Zeitpunkt getroffen worden. Ich war damals gerade Geschäftsführerin einer Gesellschaft in der Schweiz und habe für den Konzern eine neue Firma aufgebaut. Nach sachlichen Kriterien würde man wohl sagen, denkbar schlechtester Moment für ein Kind. Deswegen ist es manchmal auch gut, den Dingen seinen Lauf zu lassen und die Herausforderung anzunehmen. Die Entscheidung für ein zweites Kind, die hätte ich bewusst treffen müssen. Aber da war nie der richtige Zeitpunkt. Auf dem Karriereweg gab es auch Standortentscheidungen. Wir verlegten unseren Familienwohnort nach München, aber mein damaliger Partner und Kindsvater blieb jedoch in Brandenburg und pendelte. In so einer Situation die Entscheidung für ein zweites Kind zu treffen, ist einfach schwierig. Deshalb haben wir uns bewusst entschieden, kein zweites zu bekommen.
Wie hast du diese Situation damals, unerwartet ein Kind zu bekommen, mit deiner Karriere vereinbart?
Das Thema Familie und Beruf ist für mich kein Frauenthema. Es ist genauso ein Männerthema. Wir haben das gemeinsam gemacht und auch gemeinsam entschieden. Mein damaliger Mann war selbstständig, was heißt, er hatte einen hohen Grad an Flexibilität in seiner Terminlage. Unsere Tochter ist mit zehn Wochen in die Kita gekommen. Ich habe also gar keine Pause gemacht. Das war meine Entscheidung in dieser Situation. Ich habe immer gesagt, ich will beides. Ich möchte meine Karriere, mein Berufsleben und ich möchte ein Familienleben. Und in der damaligen Phase mit dem Job als Leiterin in der Medienpolitik plus nebenher Geschäftsführerin eines sich erst entwickelnden Unternehmens, da war mir klar, in der Situation kann bzw. will ich nicht aussteigen. Wenn du da ein halbes Jahr, ganzes Jahr, drei Jahre raus bist, bist du auch aus der Funktion raus.
So habe ich entschieden, ich mache beides. Ich habe den regulären Mutterschutz genommen, aber die ersten Termine nach der Geburt, nach circa drei Wochen, bereits telefonisch gemacht. Mir ging es gut, meiner Tochter ging es gut und da habe ich beschlossen, für bestimmte Meetings kommen die Kollegen einfach zu mir nach Hause oder ich bin telefonisch mit dabei. Ich hatte aber auch einen Chef, der mich sehr unterstützt hat, und das war wirklich toll. Nach drei Monaten bin ich wieder arbeiten und unsere Tochter ist in die Kita gegangen. Was aber auch in Berlin, wo wir damals gelebt haben, noch einfach war. Ich glaube, in Bayern wäre das schwieriger gewesen. Denn in Berlin gibt es aufgrund der Sozialisierung der ehemaligen DDR viele Kitas, die eben schon Kinder ab null Jahren nehmen. Und das ist in Bayern nicht so verbreitet.
Wie hattest du danach deinen Alltag mit Kind organisiert?
Mit ganz viel Unterstützung. Ich finde, man kann beides schaffen – aber nicht alleine. Ich hatte einen ganz engen Freundeskreis, zwei sehr gute Freundinnen, die ich schon viele, viele Jahre kenne und die für meine Tochter so etwas wie Tanten sind. Die hatten auch Abholberechtigungen, so etwas wie eine Generalvollmacht für die Kita zum Beispiel. Denn natürlich passiert es, dass ein Meeting nicht um 18 Uhr beendet ist, die Kita aber schließt. Das bedeutet in dem Moment entweder, das Meeting unterbrechen, Kind holen, wieder hinfahren, oder jemand anderes macht das. Und da waren mein Exmann und meine Freunde wirklich eine tolle Unterstützung. Ansonsten hatten wir auch sehr viel Unterstützung von meinen Eltern. Meine Mutter ist in Fällen, in denen meine Tochter krank war, oder während der Kita-Ferien ganz oft angereist und war in solchen Zeiten einfach da. Fazit: Es geht, aber es geht nur mit ganz viel Unterstützung und einem vertrauensvollen Netzwerk.
Was waren die größten Herausforderungen?
Schwierigster Punkt, finde ich, ist der des eigenen Anspruchs. Wenn man, so wie ich, den Wunsch hat, alles richtig und ganz zu machen, heißt das in der Regel, du hast einen Leistungsanspruch nicht von 100 sondern 150 Prozent. Du kannst aber nicht zwei Rollen zu 150 Prozent machen. Ins Büro zu fahren, wenn mein Kind krank ist, mich manchmal nicht selber zu kümmern, sondern eben jemand anders, auch wenn es die Oma ist, sind Entscheidungen, die schmerzen und die dem eigenen Anspruch an die Rolle als Mutter zuwiderlaufen. Und das, glaube ich, ist die größte Herausforderung. Mit sich selbst klarzukommen, insbesondere in den ersten ein, zwei, drei Jahren. Welchen Preis bin ich bereit zu zahlen? Und wo bin ich bereit tatsächlich an meiner eigenen Anspruchshaltung Abstriche zu machen? Auch im Job gibt es Erwartungen, die nicht erfüllt werden können: Ich leite eine Abteilung, da ist ein Team. Es gibt ganz oft Tage, an denen ich vor dem Team das Büro verlassen habe, an denen mein offensichtlicher Arbeitstag im Büro vor dem der Mitarbeiter endete. Das schafft immer Druck, auch bei einem selbst. Das schlechte Gewissen ging in viele Richtungen: weil man zu früh gegangen ist und die anderen noch da sind, weil man andererseits zu spät gegangen ist und doch wieder später zur Kita kommt als gewollt, weil zu Hause Menschen erwarten, dass ich dort bereits mental umgeschaltet habe und präsent bin. Ich glaube, die größte Schwierigkeit steckt in einem selbst. Und da hilft nur, sich dem sehr bewusst zu stellen.
Hattest du auch einfach mal freie Zeit für dich?
Sehr viel später. Also bei der, für andere vielleicht, geringen Menge an Zeit, die man mit der Familie und dem Kind dann hat, empfindest du das ja nicht als Belastung. Du empfindest es auch als Freizeit. Wochenenden für uns, mit Freunden, mit gemeinsamen Ausflügen. Das ist deine Freizeit. Es gibt einen Punkt, an dem man merkt, dass die Kräfte endlich sich und man sich auch um sich selbst kümmern muss. Das kam bei mir aber relativ spät erst. Ich würde sagen, in etwa zu der Zeit, als meine Tochter in die Schule kam. Da habe ich gemerkt, ich muss einfach auch auf mich achten. Ich habe geschaut, dass ich Zeiten für mich habe. Aber Sport und Hobbys kommen meistens zu kurz.
Wenn du nochmal am Anfang stehen würdest, was würdest du anders machen?
Ich war nie im Ausland. Das ist ein Punkt, der nagt. Nochmal ins wirklich weiter entfernte Ausland gehen. Schweiz und Österreich zählen da für mich nicht. Das würde ich definitiv anders machen. Ich würde vielleicht früher auf mich achten, versuchen, ein paar Signale früher wahrzunehmen. Ein zweites Kind wäre schön gewesen. Aber auch das würde ich heute nicht anders entscheiden als damals. Also wenn ich die Rahmenbedingungen so anlege, wie sie waren, war die Entscheidung schon richtig. Meine Tochter hätte sich allerdings immer gerne ein Geschwisterchen gewünscht.
Wie hat deine Tochter das empfunden, dass du so viel gearbeitet hast?
Ich habe oft versucht, mich mit ihr darüber zu unterhalten und sie sagt immer, sie hatte nie das Gefühl, wir seien zu wenig da gewesen. Weil sie immer einen von uns hatte, weil sie die Oma hatte. Und ich habe nicht den Eindruck, dass es Defizite gibt, die sich in Verhaltensmustern bemerkbar machen.
Wie ist das Verhältnis zwischen dir und deiner Tochter?
Wir haben ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Sie ist jetzt gerade auf Reisen nach dem Abitur und ich spüre, dass der Kontakt immer da ist. Sobald es ein Thema gibt, ein Problem oder Dinge, die sie beschäftigen, dann bespricht sie die mit mir. Unsere Bindung ist wirklich eine sehr vertrauensvolle und enge. Liegt aber auch ein Stück daran, dass wir seit sechs Jahren alleine miteinander leben. Ihr Vater ist zwar sehr präsent und wir sind noch freundschaftlich verbunden, aber er lebt nicht hier. Und das macht natürlich auch etwas aus, wenn man zu zweit so eng miteinander lebt. Ich habe gar nicht das Gefühl, uns fehlt da etwas. Das hatte ich zu keinem Zeitpunkt. Es gibt ja auch die Theorie <20 Minuten intensive Beschäftigung am Tag bildet schon eine Bindung>. Das wäre mir jetzt zu wenig, aber klar: In den Phasen, als sie klein war, geht viel Zeit mit Alltagstätigkeiten verloren: essen, anziehen, waschen, umziehen, ins Bett bringen, das macht schon eine Menge Zeit des Tages aus, ist aber keine intensive Beschäftigung miteinander.
Wie hat sich dein Umfeld verhalten?
Gesellschaftlicher Kontext und Bild oder Selbstverständnis anderer Frauen, das ist schon ein Thema. Ich habe das auch im Kollegenkreis gemerkt. Da hörst du dann so etwas wie: «Wie du gehst wieder arbeiten?», und dann bekam ich gut gemeinte Artikel auf den Schreibtisch gelegt, was gut für das Kind ist und was nicht. Der gesellschaftliche Kontext, die vermeintliche Norm hat sich glücklicherweise verändert. Aber man muss sich bestimmten Konventionen auch entgegenstellen, für die eigene Meinung und Lebensweise klar einstehen. Allerdings muss man heute auch darauf achten, dass jede Vorgehensweise akzeptiert wird und legitim ist. Ich will damit sagen, die Akzeptanz gilt auch umgekehrt. Die Liberalität zu akzeptieren, dass Frauen sagen, ich gebe mein Kind früh in eine Betreuung und gehe meinen Weg, der muss genauso da sein wie die Liberalität darüber, dass es Frauen gibt, die diesen Weg nicht gehen wollen. Es darf nicht zu einer Überheblichkeit von Karrierefrauen führen. Ich finde, die Akzeptanz muss beidseitig sein.
Was würdest du Frauen empfehlen, die jetzt an dem Punkt stehen, Karriere machen, aber auch eine Familie gründen zu wollen?
Auf jeden Fall: Machen. Der eigenen Entscheidung vertrauen. Und daran glauben, dass es geht. Es wird immer Hürden geben. Es wird auch immer diese Gedanken geben, wie sehen mich jetzt die anderen, was erwarte ich von mir selbst. Man muss einfach für sich selbst geradestehen. Und das – glaube ich – ist das Wichtigste und Wertvollste, das man tun kann. Ansonsten, sich Hilfe suchen, ein Backup-System aufbauen, vor allem auch Netzwerke mit anderen Frauen bilden, die in derselben Situation sind. Um sich einerseits, gegenseitig Kraft geben zu können und zu stabilisieren, andererseits Erfahrungsaustausch ermöglichen.