Anatala Geiger ist Wahrsagerin seit über 20 Jahren. Sie erzählt, wie sich die Bedürfnisse der Antwortsuchenden verändert haben und warum es ihre Arbeit heutzutage noch braucht.
Frau Geiger, gibt es heute überhaupt noch Leute, die an Wahrsagerei und Kartenlegen glauben?
Natürlich gibt es diese noch. Worauf Sie hinauswollen ist wahrscheinlich, ob es in der heutigen Zeit noch Menschen gibt, die das Bedürfnis haben, sich von einer Fremden die Zukunft voraussagen zu lassen. Die Antwort darauf ist: Ja, die gibt es. Der Bedarf ist meines Erachtens sogar gewachsen. Schließlich verlieren viele Leute den Bezug zur Realität durch Dinge wie das Internet oder das Smartphone. Ist es heutzutage nicht wichtiger, durch Medien wie mich, sich auf ihrem Lebensweg helfen zu lassen? All der Schnick-Schnack lenkt doch nur vom eigentlichen Ziel des Lebens ab; glücklich zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand durch irgendwelches Geplänkel mit einem Handy vollends glücklich wird.
Meine Frage zielte eher darauf ab, ob Menschen noch an Weissagungen glauben. Wie hat sich das in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert? In Zeiten, in denen man jede These und Aussage über das Internet nachprüfen kann, kann ich mir schwer vorstellen, dass viele Menschen Rat bei Ihnen suchen.
Das stimmt schon. Rein äußerlich betrachtet hat die Zahl der Ratsuchenden auch nachgelassen. Daher kann ich es schon bestätigen, wenn Sie sagen, es hat sich etwas verändert. Trotzdem möchte ich klarstellen, dass viele Menschen immer noch daran glauben, bei mir einen Blick in die Zukunft sehen zu können. Viele vor allem junge Menschen haben aber auch ein falsches Bild von mir. Man hört öfters: «Ich geh heut zu einer Wahrsagerin, die sagt mir dann, was nächste Jahr passiert». Allerdings war dies auch vor einigen Jahren schon so. Gegen diesen Ruf der Kristallkugelwahrsagerin kämpft jeder, der den gleichen Job wie ich hat. Junge Menschen gehen studieren, wie Sie, und hören dort, wie die Welt funktioniert. Platz für Gedankenspiele bleibt dort nicht. Alles muss einen wissenschaftlichen Grund haben. Daher kann ich diese Einstellung auch verstehen.
Hat oder hatte diese Veränderung in irgendeiner Weise Auswirkungen auf Ihren Beruf?
Nein, eigentlich nicht. Das liegt aber auch daran, dass ich die Wahrsagerei niemals als Beruf gesehen habe. Ich habe nie davon leben müssen oder damit viel Geld verdienen müssen. Das wäre auch der falsche Ansatz. Schließlich dürfen äußere Einflüsse, wie der Zwang an Prophezeiungen Geld zu verdienen, niemals Auswirkungen auf die Weissagungen haben.
Also würden Sie diesen Beruf bzw. die Berufung jederzeit wieder annehmen?
Auf jeden Fall.
Sind Ihre Fähigkeiten in Ihrem Bekanntenkreis ein Smalltalk-Thema und wird Ihre Arbeit dort akzeptiert?
Puh, schwer zu sagen. Die meisten meiner Freunde, Bekannten und meine Familie schätzen meine Fähigkeiten. Ein wirkliches Tischthema ist es aber nicht beziehungsweise dazu lasse ich es auch meist gar nicht kommen.
Warum das?
Ich finde, um über ein so wichtiges und entscheidendes Thema angemessen zu sprechen oder auch zu diskutieren, benötigt es den richtigen Rahmen. Nebenbei beim Essen halte ich es nicht für angemessen.
Könnten Sie ein grobes Berufsbild, wenn man es denn so bezeichnen möchte, eines Wahrsagers oder einer Wahrsagerin abzeichnen?
Schwierig, aber ich kann es versuchen. Also als Medium hat man Tag für Tag mit den verschiedensten Personen zu tun. Das können verzweifelte Menschen sein, das können aber auch Menschen sein, die gerade nur so vor Glück strotzten, weil sie beispielsweise gerade viel Geld gewonnen haben. Meine Aufgabe ist es, diesen Menschen in ihrem Leben weiterzuhelfen. So könnte man grob den Beruf eines Wahrsagers erklären. Allerdings gehört natürlich viel mehr dazu. Lacht.
Wenn Sie sagen, den Menschen helfen, was meinen Sie damit?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Man muss auf den Menschen als Individuum eingehen. Allgemeinweisheiten helfen hier nicht. Es gibt kein Handbuch für Wahrsager, das sagt: Wenn der und der kommt, mach das und das!
Auf den Punkt gebracht: Haben Sie übernatürliche oder übermenschliche Fähigkeiten, mit denen Sie den Menschen helfen?
Lacht lange. Nein, natürlich habe ich keine übermenschlichen Fähigkeiten. Ich kann einfach Dinge erkennen, die andere nicht sehen. Das ist alles.
Das müssen Sie mir aber jetzt erklären.
Naja, andere Menschen schauen sich Personen an und urteilen über das Äußere, schließen dadurch Rückschlüsse auf den Menschen selbst und bilden sich dadurch ein Urteil. Ich achte nicht auf Offensichtliches. Viel wichtiger für mich ist: Was will ein Mensch dadurch erreichen oder verbergen, mit dem was er tut. Dadurch versuche ich herauszufinden, was einem Menschen fehlt oder wie man ihm helfen kann. Dazu kommt dann, dass man ihm zum Beispiel die Karten legen kann. Das funktioniert ja auch nicht, weil ich Fähigkeiten habe, die andere nicht haben.
Da Sie gerade darauf zu sprechen kommen. Funktioniert Kartenlegen wirklich?
Selbstverständlich.
Und wie?
Um das zu verstehen, müssten wir uns schon etwas mehr Zeit als eine Stunde oder einen Tag nehmen. Lacht.
Viele Menschen fragen sich dennoch, steckt Magie dahinter?
Magie ist ein Wort, das viele Bedeutungen hat. Ein Zauberer, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert, benutzt keine Magie. Auch wenn er oft als Magier bezeichnet wird. Ich sehe Magie eher als eine Umschreibung für den absichtlich herbeigeführten Zufall.
Der absichtlich herbeigeführte Zufall. Ist das eine Sache, die man als Wahrsager oder als Wahrsagerin können muss?
Wenn man so will, ja. Aber man kann nicht einfach, man muss es verstehen. Wenn Sie würfeln und Sie würfeln beim ersten Mal eine sechs, wie nennen Sie das dann?
Zufall.
Und wenn Sie beim zweiten Mal eine Eins würfeln?
Bestätigung der wissenschaftlichen Statistik. Durchschnitt 3,5 perfekt erreicht.
Genau. Was wenn ich daraus aber lese, dass Ihr Leben im Gleichgewicht ist? Das ist durch zweimal Würfel werfen natürlich nahezu unmöglich, aber so ist das Prinzip. Dass, was passiert, passiert zufällig beziehungsweise liegt einer Wahrscheinlichkeit zu Grunde. Aber wie es passiert, ist wieder Zufall. Und diesen Zufall muss man deuten können.
Beschönigen Sie denn irgendetwas in Ihren Vorhersagungen?
Auf gar keinen Fall. Dann würde ich den Betroffenen ja anlügen. Trotzdem behalte ich im Hinterkopf, dass es meine Aufgabe ist, Menschen in Ihrer Zukunft zu helfen.
Wie reagieren Sie dann, wenn Sie beispielsweise sehen ein Mensch stirbt in einige Jahren?
So etwas Konkretes könnte ich niemals vorhersehen, daher macht es keinen Sinn darüber zu spekulieren. Aber wenn ich zum Beispiel sehe, einem Menschen wird in Zukunft viel Leid geschehen, dann versuche ich, ihm zu erklären, wie er das durchstehen kann und versuche ihn auf seinem Weg zu begleiten.
Können Sie die Zukunft wirklich vorhersehen?
Das ist Definitionssache. Aber ich möchte dazu nichts sagen, das sollte jeder selbst herausfinden.