Er kommt, wenn etwas passiert; Unfälle, Brände oder Verbrechen sind seine Tatorte. Mit dem Leid der Menschen verdient er sein Geld – Blaulichtreporter. Brennende Autos oder Motorradwracks sind spektakuläre Aufnahmen.

Mitternacht: Christians Handy klingelt – Verkehrsunfall, eine Person ist eingeklemmt. Nach einer kurzen Fahrt erreicht er die Unfallstelle, ein Meer aus blauem Licht. Auf dem Standstreifen anhalten, Warnweste anziehen, Fotoapparat umhängen, Kamera und Stativ greifen. Zwei völlig zerstörte Autos zwischen Einsatzfahrzeugen. Einsatzkräfte helfen hektisch dem Verletzten. Mit ohrenbetäubendem Lärm braust ein Rettungshubschrauber über ihn. Christian startet die Aufnahme – alles Routine. Was im ersten Moment nach Actionfilm klingt, ist für jeden tagesaktuellen Berichterstatter Alltag. Die sogenannten Blaulichtreporter erstellen Bilder und Videoaufnahmen von Verkehrsunfällen, um Medien mit Information und Material zu versorgen. Einer von ihnen ist Christian Herse.

Beruf des Blaulichtjournalisten

2007 war Christian zum ersten Mal im Einsatz als Blaulichtreporter. Damals fuhr er los, um Bilder für eine Lokalzeitung im Wintersturm Kyrill aufzunehmen. «Das war so das erste Mal, dass ich das Kribbeln gespürt habe», erzählt der heutige Redaktionsleiter der Nachrichtenagentur News5. Durch Zufall war er erst als Fotograf, dann als Videojournalist zur Nachrichtenagentur gekommen. Inzwischen arbeitet fast nur noch am Schreibtisch in der Redaktion und ist nur noch ab und zu auf Außeneinsätzen unterwegs. An seine Einsätze als Blaulichtreporter erinnert er sich noch gut: «Ganz häufig kennt man sich, kennt man die Feuerwehrleute. Dann stellen sie die Hütchen schon zur Seite.» Im ersten Schritt stellt man sich immer bei dem verantwortlichen Einsatzkräften vor. Anders als im Film «Nightcrawler», in dem Kameramänner gnadenlos auf Opfer draufhalten und die Rettungskräfte behindern, arbeitet der professionelle Blaulichtreporter an der Unfallstelle eng mit Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst zusammen. Christian weiß, bevor er zur Unfallstelle fährt, meist schon grob, was passiert ist. Zehn Minuten nach Ankunft lädt er schon erste Fotos auf der Webseite der Agentur hoch. Zeit spielt bei seiner Arbeit die entscheidende Rolle. Er muss immer über die aktuellen Informationen berichten. Sobald Christian an einer Unfallstelle ankommt, beginnt für ihn die Arbeit: Möglichst schnell muss er bei dem Vorfall eine spannende Story und den Mehrwert für den Zuschauer herausfinden. Das macht den Beruf des Blaulichtreporters so anstrengend.

Die meisten Einsätze belasten ihn selbst wenig. Hinterher erinnert er sich nicht mehr an das Erlebte, nur noch an die eigenen Kameraaufnahmen. Trotzdem haben sich einige Erlebnisse in sein Gedächtnis gebrannt: Großeinsätze wie der Terroranschlag in einer Würzburger Regionalbahn 2016 oder der Großbrand einer Therme in Fichtelberg im Jahr 2012. «Es gab Situationen an Einsatzstellen, wo ich mir gewünscht hätte, ich wäre nicht da», so Christian. Fast alle Ausnahmezustände sind für ihn normal geworden. Allerdings erinnert er sich an Momente, die ihn stark belasten: Eine Mutter an der Unfallstelle, die bitterlich schreit, als sie ihren verunglückten Sohn sieht. «Dieser Schrei, das ist etwas, was man sich nicht vor Augen führen oder vorstellen kann. Der bleibt im Kopf. Das geht durch Mark und Bein.» Viele vergessen, auch Blaulichtreporter sind Menschen mit Familie. Als Christian selbst einmal bei einem schrecklichen Motorradunfall vor Ort war, hat er sich geschworen, nie selbst auf ein Motorrad zu steigen.

«Niemand will solche Bilder von sich oder seinen Angehörigen sehen», so Medienanwalt Ralf Höcker. Er bezeichnet diese Arbeit als widerlich. Auch Hilmar Keller, Leiter des Rettungsdienstes beim Deutschen Roten Kreuz Tauberbischofsheim stimmt dem zu. Öffentlich die Opfer zu identifizieren, noch bevor die Angehörigen informiert seien, «das ist bloßer Voyeurismus, wie man ihn nicht braucht.» Vom Tod eines Familienangehörigen sollte niemand aus dem Internet oder den sozialen Medien erfahren. «Wenn wir an einer Einsatzstelle eintreffen, haben wir ganz anderes zu tun, als zuerst die Presse zu bedienen oder zu beaufsichtigen», sagt Sebastian Szensny, stellvertretender Abteilungskommandant der Feuerwehr Wertheim-Stadt. Ein ehrenamtlicher Pressesprecher der Feuerwehr sieht das hingegen nicht so drastisch. Seine Aufgabe an der Unfallstelle sieht er darin, Informationen über den Unfall zu sammeln, aufzuarbeiten und an Pressevertreter weiterzugeben. «Ich präsentiere mich als Dienstleister und Partner der Pressevertreter, aber sage, ganz deutlich, wenn ich sehe es werden hier Grenzen überschritten. Ich denke, dass dies positiv von den Medienvertretern betrachtet wird, weil sie sehen, dass hier ein gleichwertiger Ansprechpartner vor Ort ist.»

Polizei und Feuerwehr haben auch lieber professionelle Reporter vor Ort, als Gaffer. In Deutschland schränkt der Staat die Pressefreiheit nicht ein, es gilt hierzulande ein Pressecodex, an den sich Agenturen, Journalisten und Verlage halten sollten. Verantwortlich für den Pressecodex ist der Presserat, er hat in der Ziffer 11.3 geregelt: «Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.» Auch Christian ist da deutlich: «Klar ist die Devise: Wir filmen keine Leichen. Wenn man das beherzigt, dann muss man sich auch keine Sorgen machen, dass irgendwelche Bilder im TV landen, die man gar nicht möchte. Allerdings, wenn ich als Erster an der Unfallstelle bin, dann bin ich Ersthelfer. Erst, wenn es keine Aufgabe mehr für mich gibt, packe ich meine Kamera aus.»

14:00 Uhr: SMS eines Informanten von der Feuerwehr: Brand am Hafen in Fürth. Christian blickt aus dem Fenster. Eine Rauchwolke steigt über der Stadt auf. Schnell steigt Christian ins Auto. Flammen lodern in der Mülldeponie am Hafen. Die Feuerwehr versucht das Feuer zu löschen. Eine riesige Rauchsäule steigt von der Mülldeponie auf. Der Rettungseinsatz dauert bis zum nächsten Morgen. Das Problem: Gaffende Passanten parken die Straßen für die Einsatzkräfte zu, die Wasserzugänge sind schwer erreichbar.

Blaulichtreporter im Wandel der Zeit

Sendeanstalten, unter anderem auch die öffentlich-rechtlichen Sender, veröffentlichen die Aufnahmen der Blaulichtreporter. Inzwischen ist der Beruf des Blaulichtreporters sehr anspruchsvoll geworden. Die Sender akzeptieren ein Unglück als solches nicht mehr. Sie wollen eine Geschichte hinter dem Unglück. So wird der Blaulichtreporter immer mehr zum Videojournalisten, der vor Ort recherchiert und Hintergründe erkennt. Interviews führen und Details herauspicken, ist inzwischen Pflicht für jeden Berichterstatter, der erfolgreich im Geschäft sein will. Eine einzige Person ersetzt Reporter, Kameramann und Tonassistenten. Seine Kamera auf eine Katastrophe zu richten und damit Geld zu verdienen, funktioniere schon lange nicht mehr, davon ist Christian überzeugt. Zeitungsverleger und TV-Sender erwarten immer anspruchsvollere Beiträge. «Dadurch haben heutzutage nur noch die Blaulichtreporter eine Chance zu bestehen, die deutlich journalistischer an eine solche Berichterstattung herangehen», so Christian.

00:30. Störungmeldung der Deutschen Bahn: Notarzteinsatz am Gleis, Frankenstation. Zwei Leute liegen unter einem Zug. Am Unfallort musste Christian erst einmal auf Ansagen der Einsatzkräfte warten. Das Gleis darf er nicht betreten. Er fertigt in der Zwischenzeit erste Aufnahmen von den Rettungskräften an. Vom Pressesprecher der Polizei erhält er weitere Informationen: Drei Leute wurden auf die Gleise geschubst. Einer konnte sich retten. Die anderen beiden sind tödlich verunglückt. Alter und Geschlecht lassen sich nicht identifizieren. Man geht von einem Tötungsdelikt aus, die Mordkommission wird eingeschalten. Für Christian wird es eine lange Nacht, der Fall muss erst rekonstruiert werden. Zum Zeitpunkt des Geschehens standen einige Discobesucher am Bahnsteig, alle potentielle Zeugen. Keiner darf nach Hause gehen. Christians Arbeit: Interviews führen, das Geschehen filmen und die Daten hochladen. Um den Tod von Personen darzustellen, filmt er den abfahrenden Leichenwagen.

7:00 Uhr morgens. Daheim angekommen.

9:00 Uhr: Pressemitteilung der Polizei: Die ersten Täter wurden festgenommen. Für Christian heißt es erneut Interviews einholen, denn die Fernsehsender wollen mehr als die pure Information.

Seriöse Berichterstattung im Sensationsgeschäft

Blaulichtreporter leisten zusammen mit Rettungskräften Präventionsarbeit. «Berichterstattung kann dabei helfen, ein Bewusstsein bei den Menschen zu schaffen, ein Bewusstsein über richtiges und falsches Verhalten. Deswegen ist es unabdingbar, dass über solche Ereignisse berichtet wird», so Christian. In den Medien wird häufig über Brände berichtet, so sind Politiker und die Bevölkerung auf diesen Missstand aufmerksam geworden. Inzwischen gibt es eine Rauchmelderpflicht in allen Gebäuden. Die Journalisten machen auf aktuelle Themen aufmerksam, wie die Rettungsgasse oder der Handygaffer an Unfallstellen.

«Der Mensch ist neugierig und möchte wissen, was passiert», so Christian. Natürlich will man wissen, warum der Hubschrauber im Ort gelandet ist oder die Autobahn gesperrt war. Auch für diese Informationen, nach denen die Menschen gieren, ist der Reporter vor Ort zuständig. Allerdings leben die Medien und auch das Fernsehen von Sensationen und genau das fesselt die Zuschauer. Die Nachfrage nach Fotos und Videos von Unfällen wird immer größer. Der voyeuristische Zuschauer will wissen, was passiert. Diese Neugierde prägt unsere Gesellschaft. Der Blaulichtreporter ist ebenso schnell wie die Einsatzkräfte vor Ort und filmt, auch um diesen Voyeurismus zu befriedigen. Sie zeigen uns Situationen, in die wir hoffentlich nie geraten. Trotzdem fällt es schwer, bei einem Unfall wegzuschauen. Der Blaulichtreporter fährt durchschnittlich zu einem Einsatz am Tag. Sein Gehalt richtet sich ganz nach den Einschaltquoten der Zuschauer. Die Sensationslust des Zuschauers in ungebrochen, der Beruf des Blaulichtreporters bleibt ein rentabler Beruf.