Stell dir folgende Situation vor: Du befindest dich in einer Klinik, genauer gesagt in einem kühlen Labor im Kellergeschoss. Im Raum verteilt stehen Edelstahlbahren, jede bestückt mit einer blassen Leiche. In der Luft liegt ein stechender Geruch. Von der Decke strahlen grelle OP-Scheinwerfer, auf Rollcontainern liegt funkelndes Operationsbesteck parat…

Also, falls du dich schon einmal gefragt hast, wie ein Chirurg sein Handwerk erlernt: So oder so ähnlich sehen die ersten Schritte wohl meistens aus. Was zuerst Erinnerungen an diverse Crime-Serien im abendlichen Fernsehprogramm weckt, entspricht in etwa dem Schauplatz eines Präparationskurses. Der Geruch kommt von der Formalin-Lösung, in die die Körper direkt nach dem Tod eingelegt wurden. Jeder einzelne ist eine Spende an die Wissenschaft, der Verstorbene hat sich also ganz bewusst dafür entschieden, früher oder später auf einem dieser Edelstahltische zu liegen. Die Körperspenden dienen der anatomischen Ausbildung im Rahmen eines Medizinstudiums: Um jeden Tisch stehen sechs Studenten – die meisten mit einem betretenen Gesichtsausdruck.

KOPFSACHE

«Das ist schon irgendwie befremdlich», erzählt Dr. Benedict Schrinner vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg: «Die sind ja in Formalinlösung eingelegt, das sieht dann fast aus wie ein feuchter Tonklumpen. Wir waren ja damals alle ganz froh: Die liegen am Anfang auf dem Bauch, man fängt also am Rücken an zu präparieren. Aber das ist schon ganz schön seltsam, das könnte ja auch die eigene Oma sein.» Wer da vor einem liegt – und warum – bleibt ein Geheimnis: «Man erfährt am Ende vom Kurs nur das Alter und woran der- oder diejenige verstorben ist.» Wer seine sterbliche Hülle der Wissenschaft vermachen will, erklärt das zu Lebzeiten in einer letztwilligen Verfügung. Für die Ausbildung der zukünftigen Ärzte sind solche Spenden unverzichtbar, auch wenn beispielsweise virtuelle 3D-Modelle die Zusammenhänge im menschlichen Körper heute exakt darstellen können. «Trotzdem ist das was anderes, wenn man dann einen Menschen vor sich hat», erklärt Schrinner, «wenn man das einfach mal sieht und in der Hand hat.»

BEWEGGRÜNDE

Während man die sterbliche Hülle Stück für Stück auseinandernimmt, kommt man um manche Gedanken sicher nicht herum: Wusste der Spender vorher, was hier mit seinem Körper passiert? Was ist mit den Angehörigen? Was denken die darüber? Fragen, die auch Dr. Schrinner beschäftigt haben: «Für die ist das ja auch schwer: Da verstirbt einer, dann kann man den nicht mal richtig beerdigen, weil der ja gespendet wird. Wenn’s blöd läuft, ist fünf Jahre später die Beerdigung und die sehen auch die Leute, von denen sie wissen: Mensch – die haben den jetzt zerschnitten, hoffentlich war’s das wert.»

Was bewegt also einen Menschen dazu, sich gegen ein normales Begräbnis zu entscheiden und den toten  Körper der Wissenschaft zu hinterlassen? Vor vier Jahren hat die Universität Heidelberg Körperspender zu deren Beweggründen befragt. Das Interessante dabei: Weder Geld, noch Religion schienen bei der Entscheidung eine Rolle zu spielen. Ein häufig angeführter Grundgedanke dreht sich darum, den Medizinstudenten eine praktische Ausbildung zu ermöglichen und damit anderen Menschen zu helfen. Eine weitere Erkenntnis aus den Statistiken der Uni Heidelberg: Nur jeder achte Körperspender zieht gleichzeitig eine Organspende in Betracht. Das deutet darauf hin, dass die Spender ganz bewusst der Medizin helfen wollen. Vielleicht aus Dankbarkeit – oder weil auch sie selbst früher einmal diese Ausbildung durchlaufen haben und wissen, wie wichtig sie für die späteren Mediziner ist: «Ich glaub schon, dass das Leute gewesen sein müssen, die da irgendwie was damit zu tun hatten. Mal ehrlich: Wer zahlt noch 1500 Euro, dass er sich da zerlegen lässt?», meint Schrinner. Ein gewisser persönlicher Bezug zur Medizin scheint also bei den meisten Spendern vorhanden zu sein – vielleicht aber auch einfach der Wille, nach dem Tod noch zu etwas Gutem beizutragen.

GLAUBE VS. WISSENSCHAFT

Wo die Wissenschaft belegbare Beweise voraussetzt, genügt einer Religion der Glaube an etwas. Doch die beiden Sichtweisen schließen sich nicht zwingend aus, zumindest aus Sicht der Forscher: «Auf der einen Seite erforscht man das zwar rein sachlich. Auf der anderen Seite, wenn man sieht wie komplex das alles ist, merkt man, dass das eigentlich gar nicht zufällig entstanden sein kann. Da sieht der Naturwissenschaftler dann doch das Höhere darin.»