Der große Saal wird von gespanntem Gemurmel erfüllt. Bequeme Stoffsessel reihen sich aneinander. In der Luft liegt der süße Geruch von Popcorn. Franzi sitzt mit drei Freunden im Kino. Auf den Film freut sie sich schon lange. Sehen allerdings kann sie ihn nicht, denn die 19 Jährige ist von Geburt an blind.

Ich treffe mich mit Franzi in einem Café am Münchner Hauptbahnhof. Als sie mir von ihrem Kinobesuch erzählt bin ich zunächst etwas erstaunt. «Ich liebe Kino!», sagt sie. «Am liebsten würde ich mir dort jede Woche einen Film ansehen!». Das Erleben eines Films ist im Kino schon etwas anderes als zuhause. Die Atmosphäre, die Qualität der Lautsprecher. Natürlich geht das nicht mit jedem Film, aber für manche gibt es sogar eine Audiobeschreibung, die man sich synchron vom Handy aus anhören kann, erzählt mir Franzi und zeigt mir die entsprechende App. Am liebsten ist sie mit Freunden zusammen im Kino. Die meisten davon sind sehend. «Mit denen kann ich einfach mehr machen, als mit meinen blinden Freunden.»

Selbstständig dank Heidi

Selbstständigkeit. Das ist ein großes Thema für sie und andere Blinde, gerade was Mobilität angeht: «Jetzt grade zum Beispiel konntest du sagen, da ist ein Café, da setzen wir uns rein. Mit einem Blinden zusammen geht das nicht so leicht.» Sich alleine zurechtzufinden ist schwer, vor allem in Großstädten wie München. Man braucht ein sehr gutes räumliches Gedächtnis und natürlich gibt es nicht überall Leitlinien, wie an Bahnhöfen. Andere alltägliche Sachen hingegen funktionieren sehr gut. Zum Kochen und Backen etwa hat Franzi eine sprechende Waage. «Heidi – ja das stand auf der Verpackung und seitdem heißt die Küchenwaage Heidi», lacht Franzi. Eine Freundin von ihr hat auch eine Personenwaage mit Roboterstimme. Nur Komplimente macht die einem leider keine.

In ihrer Freizeit liest sie gerne Bücher – in Blindenschrift natürlich. Für die gibt es spezielle Büchereien, die einem die Literatur zuschicken. Und zwar in ganzen Koffern, denn ein normales Taschenbuch benötigt in Punktschrift etwa acht dicke Wälzer. Auch sie selbst schreibt gerne Geschichten. «Meine Charaktere lasse ich dann oft Sachen machen, die ich selbst gerne machen würde, aber nicht kann. Fahrrad oder Auto fahren zum Beispiel».

Blindensport

Nur zuhause sitzen, das wäre nichts für sie. Auf Sport möchte Franzi nicht verzichten, daher geht es je nach Saison in die Berge oder an den See. «Langlauf kann ich auch alleine machen, wenn die Spur gut ist und nicht vereist. Aber neulich habe ich Tandemsnowboarding ausprobiert, das hat ziemlich Spaß gemacht!», erzählt sie. Dabei sind auf dem Snowboard vier, anstatt von zwei Bindungen angebracht und man steht mit einem Sehenden zusammen auf dem Brett:  «Der Blinde hinter dem Begleiter – fast so wie beim Motorradfahren».

Das erste Mal in einem Flugzeug saß Franzi als sie 10 war. «Ich reise sehr gerne! Damals ging es nach Mallorca. Ich war aber auch schon in Italien und in Paris hatten wir sogar ein Zimmer mit Aussicht zum Eiffelturm!». Wie man so eine andere Stadt erlebt, wenn man nicht sehen kann: Man hört sie. Hektisch oder gelassen. Die Leute. Der Verkehr. In Autos. Auf Fahrrädern. Trambahn. Bus. Manchmal gibt es sogar kleine Modelle der Stadt zum Anfassen. In München steht eines neben der Frauenkirche.

Unterhaltungen

«Bei Stille fühlen sich Blinde schnell unsicher. Sprechen gibt einem Sicherheit.» Das leuchtet mir ein. Deswegen redet Franzi auch sehr viel. Sehende können sich in Gesprächspausen auch mal gegenseitig ansehen, um das Gegenüber einzuschätzen. Oder ihre Umgebung beobachten. Franzi hört sich stattdessen um: «Vorher war im Café mehr los, aber jetzt sind weniger Leute hier.» Dass Blinde besser hören können würde sie eher anders formulieren. «Sie hören nicht besser, sondern konzentrieren sich einfach viel mehr darauf.» Besonders bei Gesprächen in Umgebungen mit vielen Menschen kann das aber problematisch sein. «Da höre ich dann auch schnell mal unabsichtlich bei anderen Gesprächen mit», schmunzelt sie.

Für einen Tag sehen können? «Ja!», antwortet mir Franzi wie aus der Pistole geschossen. Als erstes würde sie dann in einen Spiegel schauen und sich schminken – und Familie und Freunde sehen. «Und Autofahren, naja es versuchen, und auf eine Party gehen und die Leute beobachten.»

Schon immer blind

«Wenn der Tag dann vorbei wäre, wäre ich wahrscheinlich schon traurig, aber eigentlich bin ich froh, dass ich schon immer blind bin.» Franzi wurde drei Monate zu früh geboren. Sie wog nur 755 Gramm – Brutkasten, Sauerstoffmangel. «Wenn man erst später erblindet, vermisst man die Farben sicherlich noch viel mehr». Ihr Freund macht eine Ausbildung in einer Einrichtung für Spät-Erblindete. «Die Leute dort erzählen oft von ihren früheren Arbeitsstellen, und davon, was sie jetzt nicht mehr machen können. Das wünsch ich keinem.»

Nach der Realschule hat Franzi eine Ausbildung zur Fremdsprachen-Korrespondentin am SDI begonnen, dem Sprachen und Dolmetscher Institut in München. Keine spezielle Schule für Blinde, sondern eine normale Ausbildung, bei der sie unter anderem Geschäftsbriefe in Französisch und Englisch übersetzt. «Man muss schon selbst aktiv werden und sich was zutrauen! Inklusion ist zwar wichtig, aber wenn man nicht selbst die Initiative ergreift, ist das schwierig».

Schubladendenken

Inklusion. Der Begriff, so findet auch Franzi, ist immer sehr weit gefasst. Da kann es um Mobilität gehen, die Möglichkeit Medien zu erleben oder um Dinge des alltäglichen Lebens. Am meisten aber merkt Franzi die Vorbehalte, wenn es um die Suche nach einer Arbeitsstelle geht. «Manche Sachen kann ich halt einfach nicht machen. Andere aber eben schon, nur da müssen sich Arbeitgeber auch mal trauen einen das versuchen zu lassen!».

Dass sie andere nicht auf den ersten Blick schon in eine bestimmte Schublade steckt, findet Franzi als den größten Vorteil an ihrer Blindheit. «Ich kann das ja gar nicht und mir ist es einfach egal mit wem ich mich unterhalte. Dadurch, dass ich den anderen nicht sehe, komme ich nicht in Gefahr so oberflächlich zu denken». Erstmal anhören was der andere zu sagen hat. Vielleicht sind Blinde da weniger blind als die Sehenden.