«Keine Angst, da kommt rotes Blut raus, kein blaues.» Es sind Menschen, die sich ungewollt in einer Sonderrolle befinden. Moderne Kuriositäten mit Reichtum, Glanz und Gloria. Etwas Exotik aus der urigen Heimat. Eine Geschichte voller Kontraste erzählen unsere vier Adeligen.

«Wenn ich meinen Stammbaum so anschaue: Wir haben alles gemacht, außer Inzest.» Das klingt beruhigend, doch was Dominik von Heyer eigentlich sagen möchte ist: Er, Robin von Mendel, Ludwig von Stern und Graf Benedikt von Bentzel sind Menschen, die etwas gemeinsam haben. Sie sind adelig – ganz ohne Klischees. Denn wer authentische Geschichten über den Adel sucht landet früh an der wohl falschen Stelle: der Regenbogenpresse. Romantisierte und schablonenhafte Darstellungen zeichnen die Artikel und Groschenromane aus, die Leserschaft wird eingängig mit dem konfrontiert, was sie sich erträumt: Reichtum, Glamour, Jetset. Das Leben eines Adeligen. Dass hierbei nur die Sehnsucht der Leser nach etwas Extravaganz erfüllt wird und kein Realismus oder tatsächlicher Journalismus zu erwarten ist, sollte jedem klar sein.

Wenn der Adel studiert

«Ich führe ein Leben wie jeder andere auch. Ich schwimme nicht in Geld, habe keine Bediensteten und wohne in einer WG. Meine Mitbewohner sind genau wie ich, haben die gleichen Probleme wie ich.» Dominik von Heyer ist Student an der OTH, der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden und studiert Maschinenbau, nebenher jobbt er bei McDonalds. «Ein Großteil meiner Zeit geht dafür drauf, meinen Lebensunterhalt hier in Amberg halten zu können, das kennen doch alle anderen auch.» Das klingt schrecklich normal für einen der Vertreter «der da oben». «Mein Traum war immer: Frau, Kind, Familie, ein ganz normales Leben. Ich habe mich da auch meinem Vater widersetzt, der wollte unbedingt, dass ich studiere. Ich bin da eher ein Anpacker, eigentlich komme ich ja von der Hauptschule. Wenn ich etwas anfange, dann zieh‘ ich das auch durch, ich bin ganz oder gar nicht› bei allem: wenn ich lerne, lerne ich jetzt halt neun Stunden am Tag.» Zum Studium kam er über die fehlende Eigenständigkeit in seinem früheren Beruf, jetzt ist er beim Maschinenbau gelandet. «Am liebsten wäre ich Schmied geworden, so ganz klassisch mit offenem Feuer und allem.» In den «normalen» Berufen, die Dominik vor dem Studium ausgeübt hat, sei es spürbar gewesen, dass er aufgrund des Titels anders behandelt wurde, aber das seien Einzelfälle. Diskriminierung möchte er das nicht nennen, aber man werde schon von anderen in eine Sonderrolle gedrängt. «Das Nervigste ist noch der Papierkrieg, weil jedes Amt schreibt einen anders rein: Heyer, von; von Heyer; von großgeschrieben. Wenn die dann meine Akte raussuchen wollen, dann steh ich da schon immer begeistert da.»

Außer der Etikette hat er von der Familie wenig Adel mitbekommen: Das Anwesen ist nicht mehr in Familienbesitz, sein Vater war als Bewässerungsingenieur in Afrika unterwegs und hat geholfen Dörfer aufzubauen, doch zu einem großen Bekanntenkreis kam es so nie. «Es ist schon schön Erbstücke von meinem Vater und der Familie zu haben. Dinge, die über viele Jahre oder Jahrzehnte in Familienbesitz sind. Es ist toll so viel und über so lange Zeit etwas über die eigene Familie erfahren zu können, viele andere haben das nicht.» Die Familiengeschichte fortzuschreiben wäre sein Wunsch – einer Verpflichtung dem Titel gegenüber sei das aber nicht geschuldet.

Dominik ist nicht allein, ein normales Leben abseits der Medien und der Politik ist nichts Ungewöhnliches. In der Realität leben viele Adelige ganz bürgerlich und berufen sich nicht auf eine besondere Stellung, davon ist auch Robin überzeugt: «Wenn jetzt irgendwer definiert: ‹Oh ich bin adelig, ich bin viel mehr wert als du› bedeutet mir das nichts.»

Robin Ritter und Edler Mendel von Steinfels studiert Design an der Ohm, der Technischen Hochschule Nürnberg. «Ich denke eigentlich, dass alle Menschen gleich sind oder gleich gestellt sein sollten. Adel ist da nur eine weitere Möglichkeit Menschen zu unterscheiden.» Früh hat sich sein Vater von der restlichen Familie abgekapselt, vielleicht ist sein Sohn deswegen dem Titel gegenüber so neutral eingestellt. Den Rest seiner eher klassisch eingestellten Familie versteht Robin durchaus: «Wenn man wirklich in einer Adelsfamilie groß wird, dann ist schon noch sehr viel konservatives Adelsgetue dabei. Natürlich legt man dann mehr Wert auf den Titel.»

Der Titel als Zusatzfaktor

Robin selbst hat nach der neunten Klasse auf ein österreichisches Internat gewechselt, an dem bereits seine Schwester war. Dort wurde seine Begeisterung für «alles mit Medien» geweckt, die er heute im Studium ausleben kann: Fotografie, Design und Animation. Zu seinen Kommilitonen hat er ein gutes Verhältnis, der Titel spielt keine Rolle: «Es ist ein lustiger Zusatzfaktor bei Abenden mit fremden Leuten, wenn man seinen Ausweis zeigen kann und sagt:‹Hey schau mal mein Name›. Die sitzen dann da, lachen und wenn sie dann noch sehen, dass ich in Spalt geboren wurde, lachen sie gleich nochmal.»

Besonders die beiden Jüngeren, Dominik und Robin, winken schnell ab wenn man auf die Bedeutung des Adelstitels zu sprechen kommt. Das Adelsprädikat sei seit 1919 nur noch Bestandteil des Nachnamens und kein tatsächlicher Titel mehr. Der Adel kann sich nicht mehr auf eine stellungsbedingte Macht berufen, genießt keinen politischen Einfluss und hat auch keine besonderen Auswirkungen auf die Gesellschaft mehr. Im Gegensatz zu früher hat diese Sonderrolle keine Sonderrechte mehr, womit sie in das Sammelsurium moderner Kuriositäten aufgenommen wird. Entweder man flieht nach vorne, ins Fernsehen oder die Politik oder man versucht ein möglichst normales Leben zu führen. «Es gibt Adelige, die aus diesem Adelsstand so was wie Exklusivität herleiten wollen. Das ist mir genauso zuwider wie die andere herabwürdigende Behandlung durch Leute, die den Adel zum Feind erkoren haben und jetzt immer auf den Leuten rumhacken; da deklassieren sich die Betroffenen doch nur selber», so Ludwig von Stern, der Kanzler der OTH Amberg-Weiden.

Die Gesellschaft behandelt die Adeligen eher zwiespältig: die einen belächeln sie und verspotten den Titel, die anderen erwarten von einem Adeligen etwas ganz Besonderes.«Es ist spürbar, dass mit einem wegen dem Adelstitel anders umgegangen wird: ‹Ach da kommt der von Stern, ah der heißt doch hinterm Mond›.» Man müsse da auch eine Selbstironie mitbringen, denn «von und zu, auf und davon und dieses ganze Zeugs, das kennen wir Betroffenen zur Genüge. Da gibt es auch keinen Witz über den eigenen Namen, den man nicht schon gehört hätte. Auch wenn man versucht, das alles zu umgehen und ich mich ohne ‹von› vorstelle, fühlen sich die Leute natürlich hintergangen, wenn sie die Wahrheit herausfinden. Es gibt keine Möglichkeit diskret damit umzugehen. Das ist so, als ob man eine lange, krumme Nase hat – man kann einfach nichts dafür.» Ansonsten sei das Adelsprädikat durch die Andersartigkeit und Ungewöhnlichkeit bei sehr vielen Menschen immer Grund für eine Sonderbehandlung – positiv wie negativ. «Ich bin dankbar, wenn ich einfach normal behandelt werde. Viele Leute begegnen einem distanzierter. Wenn ich ins Wirtshaus gehe, dann schreien nur die Allerwenigsten quer über alle Tische: ‹Hey Ludgi oide Schlabensau, bist heid a do?›» Er pflege solche Kontakte, ansonsten komme so etwas wie Gemütlichkeit nicht wirklich auf. Auch mit dem Status, den der Titel in der Gesellschaft inne hat, und mit den damit einhergehenden Erwartungen umzugehen ist nicht leicht: «Wenn wir scheitern, scheitern wir natürlich schlimmer.»

Persönlich hat für ihn der Titel wenig Bedeutung. Er ist zwar Jäger, aber auch nur weil seine Frau Wald in die Beziehung «mitgebracht» hat – seine Familien hat dieses traditionelle Adelshobby kaum verfolgt. Im Beruf sitzt er zwischen allen Stühlen. Als Kanzler der OTH befindet er sich in einem «Akt des permanenten Coachings» und der Interessenskonflikte, denn er muss das Geld der Hochschule verwalten. Früher sei es verpönt gewesen, wenn ein Adeliger einem Beruf nachgehen musste, er meint: «Die Frage was man ist, ist viel wichtiger als was man scheint zu sein»

Der Adel und die Tradition

Doch trotz aller Gemeinsamkeiten mit Bürgerlichen; adelige Familien erleben Traditionen und Familiengeschichte ganz anders. Benedikt Graf von Bentzel: «Man hat da so einen gewissen ‹Stabilitas loci› wo man sagt: Hier ist mein Ort, hier bin ich geboren und hier werde ich vielleicht auch sterben. Ich glaube das schon, dass jetzt nicht hergehen könnte und sage: Also mir gefällt es woanders besser, jetzt verkaufe ich das alles.» Sein Vater öffnete 1975 die Gartenanlage von Schloss Thurn bei Forchheim zunächst als Erholungsgebiet mit Damwild-Gehege und Märchenwald, das die Bürger des Umlandes zum Spazieren einlud. Nach und nach wurde die Schlossanlage zu einem vollwertigen Freizeitpark mit Eisenbahn, Ritterarena und anderen Attraktionen ausgebaut. «Als mein Vater den Park geöffnet hat, um sein Schloss zu erhalten, ist da natürlich eine Interaktion zwischen den Schlossbewohnern und den Bürgern entstanden. Es gibt natürlich viele Adelige, die auf ihrem Schloss sitzen und keine Berührungspunkte haben, da sie eher Land- oder Forstwirtschaft machen. Wir sind hier halt auf dem Land und bodenständig und ich suche da auch den Kontakt zu den Menschen.» Der Graf leitet den Erlebnispark, ist aktiv in der Lokal- und Landkreispolitik, im Tourismusausschuss Fränkische Schweiz, Schatzmeister des VDFU – dem Verband der deutschen Freizeitparks – und ein Unternehmer mit Herz und Seele: «Mit dem Freizeitpark hier bin ich der ‹Erlebnisgraf›, aber letztendlich geht es darum: Sie haben ein Unternehmen hier und Sie müssen schauen, dass der Laden läuft. Das ist auch schwer als junger Vater diesen Spagat zwischen dem Unternehmen, der Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber, dem Ehrenamt und der eigenen Familie zu schaffen. Privates leidet da natürlich – das liegt jetzt aber nicht am Adel.»

Mittlerweile bietet der Park so auch den Rahmen für Hochzeiten und Veranstaltungen wie zum Beispiel die Vortragsserien der Schloss Thurn-Akademie. Dem Motto der Schlossinschrift «Toleranz-Individualität–Vielfalt» folgend werden hier politische und gesellschaftliche Themen erörtert. Ein Fledermauszentrum entsteht ebenfalls. «Man darf diesen Einfluss nicht überbewerten oder überschätzen, aber eine gewisse Verpflichtung gibt es schon. Besonders das Wort ‹Tradition› benutze ich eher selten, weil Traditionen für mich Dinge sind, die über Generationen gelebt werden und an denen festgehalten wird, die aber zum Wohle eines anderen sein sollten.» Die gräfliche Familie hat selbst eine solche Tradition: das Sebastiani-Fest am 20. Januar, dem Tag des Patronatsfestes der örtlichen Kapelle. Alle Bürger über 65 Jahren des Ortsteils Thurn lädt der Graf ein in den Romantiksaal des Schlosses zu Speis, Trank und gemütlichem Beisammensein. «Es geht da viel um Gespräche, viele Witwen sind dabei, und das ist einfach ein schöner Nachmittag hier auf dem Schlossgelände. Und das sind Traditionen, an denen auch festgehalten werden sollte, denn Traditionen sehen vielleicht überkommen für den aus, der es von außen betrachtet, im Gegensatz zu dem, der die Tradition lebt.» Die Traditionen und besondere Stellung sind jedoch besonders in der Kindheit mit Schattenseiten verbunden, denn die Etikette muss von klein auf gewahrt werden. «Man hat das immer und ist natürlich auch so aufgewachsen, dass man schon sehr im Fokus steht und vielleicht von Menschen auch anders betrachtet wird als vielleicht ‹normale› Familien. Das ist aber ein gewisser Ansporn, dass man sich selbst nicht so gehen lässt.»

Hinter den Titel zu sehen ist all unseren Adeligen wichtig, bleibt zu hoffen, dass wir Bürgerlichen das auch tun. «Es geht nicht um den Titel, es geht um den Menschen. Auch wenn man anders angesehen wird, ist es wichtig sich selbst treu zu bleiben.»