Auf der Suche nach der perfekten Zutat für das teuerste Pigment der Welt – irgendwo auf einem Fischmarkt in Frankreich. Es ist ein sonniger Morgen im Winter. Es riecht nach Hafen, nach Fisch und nach Meerestieren.
Am Mittelmeer gibt es sie kiloweise zu kaufen. Die Herkuleskeule, auch Purpurschnecke genannt, kann man am Mittelmeer kiloweise kaufen. Fast jede Stadt in Südfrankreich hat einen Fischmarkt, ob Sète oder Perpignan. Jeder Fischhändler, der frische Fische aus dem Mittelmeer anbietet, verkauft auch Muscheln. Die Fahrt hierher ist nötig, denn züchten lässt sich die Purpurschnecke nicht. «Sie werden gefangen wie Fische, damit man sie essen kann – es sind Lebensmittel», sagt Georg Kremer. Er kauft sie jedoch nicht zum Verzehr.
1977 gründete Kremer als Chemiestudent die Firma «Kremer Pigmente» in Rottenburg am Neckar. Statt Taxi zu fahren oder in einer Bar zu bedienen, wollte er Farbstoffe herstellen, die durch die industrielle Produktion verloren gingen. Er hatte Bekannte, die Künstler waren. Über sie bekam er Kontakt zur Kunst und zu Restauratoren. Heute verkauft „Kremer Pigmente“ über 1500 Farben: von Zinnoberrot über Smalte bis hin zu Lapis Lazuli. 1984 ist das Unternehmen nach Aichstetten im Allgäu in einer alten Getreidemühle aus dem 18.Jahrhundert gezogen und seitdem dort geblieben.
Wenn er nicht direkt in Südfrankreich anfangen kann das Purpur herzustellen, lässt Kremer die Schnecken einfrieren und in Aichstetten verarbeiten. Dann beginnt die Handarbeit. «Die Schnecke besitzt eine Drüse», schildert Kremer. «Diese Drüse braucht die Schnecke, um durch den Drüsengang und einen Stachel andere Schnecken zu lähmen. Dieser Drüsensaft enthält 6,6‘-Dibromindigo – zu deutsch Purpur.» Der Prozess ist sehr zeitaufwendig: «Man braucht pro Schnecke etwa fünf Minuten. Wenn man es zügig macht, kann man ein Kilo Schnecken in zwei bis drei Stunden verarbeiten. Für unser Purpur echt gibt es eine Angabe von 10 000 Schnecken pro Gramm. Das entspricht der Literatur, wir brauchen aber viel weniger.»
Die Rezeptur stammt aus der Zeit vor rund zweitausend Jahren und geht auf Plinius dem Älteren zurück. Die Hochburg und älteste Stätte der Purpurherstellung ist die Stadt Tyrus im heutigen Libanon. Von dort aus verbreitete sie sich nach Ägypten, Griechenland und Rom. Jede Hochkultur der damaligen Zeit kannte Purpur als besondere Farbe. So trugen es sowohl griechischen Elite-Infanteristen als auch römisch-katholische Kardinäle. Purpur war so beliebt und einzigartig, dass die römischen Kaiser nur den höchsten Beamten und ihnen selbst erlaubte Purpur zu verwenden.
Heute kann theoretisch jeder Purpur tragen. Der exklusive Eindruck bleibt jedoch vorhanden, nicht zuletzt durch die aufwendige Herstellung des echten Purpur, die es extrem teuer macht. «Man gibt den gewonnenen Saft in Wasser und stellt es unter Sonneneinstrahlung an die Luft. Dann setzt sich das Pigment ab, man kann es sammeln und hat Purpur. Das ist aber eine sehr aufwendige Angelegenheit. Das kostet eine ganze Menge Schnecken, die man kaufen muss, und zudem viele Stunden, bis ein Gramm erzeugt ist. Das ist in einer Woche nicht zu schaffen. Und daher kommt der Preis von 2500 Euro pro Gramm.»
Während Pupur früher zum Färben von Stoffen verwendet wurde, nutzen es heute hauptsächlich Kunstmaler, die bereit sind den hohen Preis für das edle Purpur zu zahlen. Sechs bis acht Gramm Farbe wird aus einem Gramm Pigment gemischt mit Wasser und Bindemittel. Das reicht, um einen halben Quadratmeter zu lasieren. Kremer stellte jedoch fest, dass kaum ein Kunstmaler sein Purpur zum Bildermalen verwendet, sondern hauptsächlich für Dekorationsmalerei. «Stellen sie sich einen Kirchengemeinderat vor, der etwas ganz Besonderes unter sein hölzernes Kreuz gemalt haben möchte. Dabei geht es meistens um protestantische Malereien, Katholiken machen das nicht. Aber bei Protestanten ist das schon vorgekommen. Das ist ja ein richtiger Aufwand: fünf Gramm – das sind 10 000 Euro. Aber eine reiche protestantische Gemeinde kann sich sowas leisten.»
In der Textilbranche nutzt kaum noch jemand Purpurpigment. Hier gebe es auch hin und wieder jemanden, der damit färben wolle, so Kremer, doch man tue sich leichter, wenn man hier frische Schnecken verwendet. Das sei ergiebiger als mit Purpur als Pigment zu arbeiten. Im israelischen Eilat gibt es bis heute eine Färberei, die Wolle mit Purpurschnecken färbt.
Der tatsächliche Farbeindruck ist während des ganzen Prozesses nicht genau bestimmbar. «Das ist trickreich», sagt Kremer. «Je größer der Anteil an Brom im Molekül, desto röter ist das Purpur. Beim Färben von Wolle wie im alten Testament entsteht eine blaue Färbung, weil während des Färbeprozesses der Bromanteil zum Teil durch das Licht abgespalten wird. Von rotstichigem Blau bis zu Ältere-Damen-Violett liegt alles im Bereich von Purpur; die Nuancen sind sehr unterschiedlich. Der Punkt ist, dass die Farbigkeit nicht Rot oder Blau ist, sondern wechselhaft. Das Besondere an Purpur ist nicht die Farbigkeit, sondern seine Herstellung und sein Verwendungszweck. Es ist die Farbe des Pharao im alten Ägypten. Er trug einen purpurnen Mantel – das war damals der Inbegriff von Gottfurcht bei den Ägyptern. Dann sind die Juden mit Moses geflohen und haben den Brauch mitgenommen. Der Hohepriester in Jerusalem trug auch einen purpurnen Mantel. Eine jüdische Sekte hat den Brauch dann nach Europa gebracht.»
Purpur ist seit dem Altertum stark mit Gott verbunden. In der römisch-katholischen Kirche ist violett bis heute die liturgische Farbe der Bußzeiten vor Ostern und Weihnachten. Auch bei Begräbnissen können die Gewänder – alternativ zu schwarz – violett gefärbt sein. «Es ist die Farbe, die den Menschen die Transzendenz näherbringt, also vom Menschlichen zum Göttlichen. Und wer Purpur trägt, ist Mittler für diese Transzendenz. Die römischen Gottkönige waren Mittler zwischen den Menschen und dem Göttlichen – das ist das besondere an Purpur», so Kremer.
Auch bei Kremer Pigmente nimmt man die Rolle des Mittlers ein. Allerdings begegnet das Unternehmen jedem Kunden auf Augenhöhe – und das auch bei extravaganten Vorstellungen. «Wir sind ja nicht für die Wünsche da, sondern nur für die notwendigen Farben. Von Michelangelo heißt es, dass er Calcit als Grundierungsfüllstoff benutzt hätte. Dann kommen die Leute zu uns und wollen das bei uns kaufen. Oder bei Leonardo DaVinci heißt es, er habe ein besonderes Mahlmittel verwendet – klar, das haben wir auch. Das sind dann außergewöhnliche Wünsche. Aber wenn ein solcher Kunde kommt, machen wir sie möglich.»
Das alles wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Denn mittlerweile ist Purpur auch synthetisch herstellbar. Synthetischer Farbstoff ist sogar reiner als natürlich hergestelltes Pigment. «Am Anfang hatte ich Kontakt mit einem Apotheker. Er hatte darüber promoviert und eine Synthese praktisch durchgezogen – ich habe immer zwei Gramm reines Purpur gekauft. Das ist aber noch teurer als die Schnecken.»
Am Ende bleibt Georg Kremer dabei Purpur auf natürliche Weise herzustellen. So bringt jedes Gramm ein Stück Mittelmeer zum Kunden, denn auch die fertige Farbe riecht noch etwas nach Fisch.