Seit knapp zwei Jahren können schwer kranke Personen in Deutschland Cannabis als Medikament auf Kassenrezept erhalten. Doch noch immer begegnen viel im Land der Pflanze mit Skepsis. Nur zögerlich springt Deutschland auf diesen boomenden Cannabis-Zug auf.
Gedimmtes Licht flutet das gemütliche Wohnzimmer. Entspannt zurückgelehnt sitzt Tom (Name geändert) auf einer großen Couch und pafft Pfeife. Süßlicher Geruch liegt in der Luft. Rauch ist kaum zu sehen. «Das Cannabis wird mit dem Vaporizer nur verdampft und nicht verbrannt. Dadurch bleiben schädliche Stoffe aus, welche beim Verbrennen der getrockneten Blüten entstehen würden», erklärt mir Tom. Er ist einer der Patienten in Deutschland, die Cannabis als Medikament auf Kosten der Krankenkasse bekommen. «Für mich ist das ein Medikament, das mir den Alltag erleichtert.»
Für viele Patienten mit chronischen Schmerzen, Krebs, Nervenschmerzen, Multipler Sklerose oder Tourette-Syndrom ist der Alltag mit Cannabis wesentlich leichter zu bestreiten. Die Zahl der Anfragen für medizinisches Cannabis steigt stetig. Im Jahr 2018 wurden über 18.000 Anträge zur Kostenerstattung des Cannabis‘ bei den drei größten deutschen Krankenkassen eingereicht. Trotzdem entwickelt sich in Deutschland erst langsam ein Markt und ein Bewusstsein für den Umgang dieser Pflanze.
Anfang 2017 verabschiedete der Bundestag einen Gesetzesentwurf, der nun eine Cannabis-Therapie bei schwer kranken Personen erlaubt. Volljährige können in Uruguay oder Kanada legal Cannabis kaufen und besitzen. Viele Länder wollen nachziehen. In Deutschland ist es weiterhin eine Droge im Betäubungsmittelgesetz; der Besitz ist strafbar, außer man benötigt es als Medikament. Das ist in Deutschland bei immer mehr Patienten der Fall. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat eigens dafür die Cannabisagentur gegründet. Sie steuert und kontrolliert den Anbau und die Abgabe. Die Agentur muss die pharmazeutische Qualität sicherstellen und schließlich an Apotheken liefern.
«Inzwischen kann ich mein Medikament von fast jeder Apotheke in der Stadt beziehen», erzählt Tom. In Deutschland wird momentan noch kein medizinisches Cannabis angebaut. Hierzulande soll erst 2019 mit dem Anbau und der Ernte begonnen werden. Eine Ausschreibung der Cannabisagentur dazu läuft gerade. Die Versorgung erfolgt momentan per Import aus Kanada und den Niederlanden. Das bringt einige Probleme mit sich. Durch die Legalisierung in Kanada beispielsweise ist das Cannabis schnell vergriffen. Selbst Patienten in Kanada haben es wegen der großen Nachfrage schwer ihr Medikament zu beziehen.
Außerdem gibt es große Qualitätsunterschiede bei dem nach Deutschland importierten Cannabis. «Es gibt bei Herstellern intern schon starke Schwankungen. Oft wird nur auf den THC-Gehalt geachtet, jedoch nicht auf die Sorte.» Es gibt Satifa, das zu einem ‹High› und mentaler Stimulation führt. Manche werden dadurch sogar kreativer. Und es gibt Indica, das ‹stoned› macht und körperlich beruhigt. Beides wirkt deshalb komplett unterschiedlich. Die Einführkosten beim Import, treiben den Preis in die Höhe. Zum Beispiel entgeht dem Staat durch Steuereinnahmen viel Geld. Die im November 2018 vom Deutschen Hanfverband durchgeführte Haucap-Studie schätzt die Kosten, die dem Staat aufgrund des Cannabisverbots entstehen, auf mehr als zweieinhalb Milliarden Euro. Die Summe entsteht durch eingesparte Kosten für Polizei und Gericht zusammen mit Steuereinnahmen.
«Ich habe es auch schon gemacht, als es noch illegal war», erzählt Tom. «Es geht mir damit merklich besser und wenn ich damit gegen ein Gesetz verstoße, nehme ich das in Kauf. Ich schade damit doch niemanden.» Wie Tom therapieren sich viele Patienten selbst schon jahrelang mit Cannabis. Die Kosten dafür mussten sie selbst übernehmen. «Das hat mich finanziell stark belastet, aber wenn es mir hilft, was soll ich machen?» Bis zu 800 Euro hat er seinem Dealer dafür im Monat gegeben. Er hat zwar ein Apothekenrezept, aber in der Apotheke hätte er womöglich das Doppelte bezahlt. Diese Kosten übernimmt jetzt die Krankenkasse. «Das entlastet mich enorm», fügt Tom an. Das ist jedoch nicht bei jedem so. Die Krankenkassen lehnen 64 Prozent der Anträge ab. Erst müssen alternative Behandlungsmethoden ausprobiert und ihr Misserfolg nachgewiesen werden. Eventuell hilft auch eine Behandlung mit günstigeren Präparaten. Die Cannabistherapie ist also die letzte, teure Option.
«Im Bewusstsein der Menschen ist Gras oft noch als Droge gespeichert und nicht als Medikament», meint Tom. «Sie sehen mich als Kiffer und nicht als Patient.» Die Regierung diskutiert in den letzten Jahre zwar intensiver über das Thema, zögert wegen Berührungsängsten jedoch noch. Zu sehr wird Cannabis in den Köpfen mit dem Wort Droge verknüpft. Das erschwert den Umgang mit dem Thema und hemmt wiederum den Markt und die Entwicklung. Tom: «Ich wünsche mir, dass Cannabis als Medikament nicht die letzte Option ist und es entkriminalisiert wird. Das würde vielen Menschen helfen und den Schwarzmarkt entmachten.»
Bis Deutschland eigenes Cannabis produziert, werden die Preise weiterhin hoch, die Qualität unberechenbar und die Blicke skeptisch bleiben. «Es ist mir egal. Ich fühle mich gut damit.», sagt Tom und stopft zerkleinertes Cannabis in das Glasrohr des Vaporizer – zum Glück auf Kosten der Krankenkasse.