Die Pariser Metro ist die viertälteste U-Bahn Europas. Ihr Netz verbindet 303 Stationen und durchquert auf 220 Kilometer die Metropole an der Seine. Tag für Tag befördert sie über vier Millionen Menschen. Die erste Metrolinie, die M1, wurde am 19. Juli 1900 anlässlich der Weltausstellung eröffnet. Sie verbindet den Osten von Paris mit dem Westen, damals zwischen «Porte de Vincennes» und «Porte Maillot». Der Fahrpreis betrug 15 bis 25 Centimes. Heute kostet das Ticket für eine Einzelfahrt knapp zwei Euro; allerdings wuchs die Strecke seitdem um sieben Stationen: von «Château de Vincennes» bis «La Défense». Die M1 ist die gelbe Linie der Pariser Metro. An den Stationen erzählen Menschen von ihrem Leben.

ARTISTE DES RUES | STRAßENKÜNSTLER

Ich habe an einer Universität in Kiew Kunst studiert. Damals hatte ich ein Auslandsemester für ein Jahr an der Kölner Kunsthochschule. Dort habe ich die Liebe zur Malerei mit Kreide für mich entdeckt. Nachdem ich mit dem Studium fertig war, habe ich noch ein paar Jahre von der Kunst gelebt. Besonders lukrativ war das allerdings nicht. Da ich aber die Kommerzialisierung von Kunst hasse, bin ich zu dem Schluss gekommen, mein Schaffen auf der Straße den Leuten näherzubringen. Meiner Meinung nach ist das noch die einzig ehrliche Weise künstlerisch tätig zu sein. Man hat direkten Kontakt mit den Bewunderern oder Kritikern seiner Werke. Es gibt kein besseres Gefühl jemanden zu sehen, der in seinem Alltagsstress stehen bleibt, um deine Bilder zu bewundern. Mittlerweile reise ich seit 15 Jahren durch Europa und male mit Kreide auf die Straße. Ich laufe durch die Städte und fange einfach an zu malen, wenn mir ein passender Platz auffällt. Dabei spielt Zeit für mich keine Rolle. Ich male so lange ich Lust dazu habe. Manchmal wünschte ich, es gäbe wasserfeste Kreide, damit meine Bilder bei Regen nicht weggewaschen werden. Aber so schnelllebig wie meine Bilder ist auch die Kunst. Es wird immer etwas Neues geben.

CAISSIER | KASSIERER

Ich bin gerade den Kanal entlangspaziert – der wird gerade gereinigt – und habe die Motorräder gezählt, die reingeworfen wurden. Insgesamt sind es 28. Mein Chef hat mir heute freigegeben. Er war letzte Nacht trinken. Also bleibt sein Laden geschlossen, weil er zu verkatert ist. Ich arbeite dort als Kassierer. Ich finde es eine Unverschämtheit aus solchen Gründen die Arbeit ausfallen zu lassen. Ich bin auf den schlechten Lohn angewiesen, den ich meiner Familie in Lviv in der Ukraine schicke. In meiner Heimatstadt läuft noch alles geregelt ab. Dort ist es auch nicht so schmutzig wie hier in Paris. Ich kann die französische Mentalität nicht ausstehen. Ständig sind die Leute unpünktlich und nur auf sich selbst und ihre Bedürfnisse fokussiert. Am liebsten wäre ich in der Ukraine geblieben. Dort habe ich Bankkaufmann gelernt. Wegen der schlechten Wirtschaftslage gab es aber keine Jobs für mich, auch nicht in Deutschland oder Holland. Nach einiger Zeit auf der Suche nach einer passenden Stelle ist mir also nichts anderes übriggeblieben, als diesen Job in Paris anzunehmen. Jeden Tag muss ich an diesem gottverdammten Kanal vorbei auf dem Weg zur Arbeit. Er spiegelt alles wider, was mit dieser Stadt nicht stimmt. (Wie kann man für so ein Projekt so viel Geld verpulvern, das dann an anderen Ecken fehlt?)

CHARCUTIER | METZGER

«Ich bin in einer Metzgerfamilie aufgewachsen. Seit Generationen üben wir diesen Beruf schon aus. So gab es für mich auch keine andere Alternative als Metzger zu werden. Meine Ausbildung habe ich auf einer Metzgerschule absolviert. Dort lernte ich auch meine Frau kennen, mit der ich jetzt seit 55 Jahren hinter dieser Theke stehe. Unsere Kinder interessieren sich leider nicht so sehr für Fleisch wie wir, deswegen versuchen wir unserer Passion noch so lange wie möglich nachzugehen. Uns macht es Spaß unseren Kunden jeden Tag das beste Fleisch von Paris anzubieten und unsere Leidenschaft mit ihnen zu teilen.»

CHAUFFEUR | UBER-FAHRER

Ihr seid meine letzte Fahrt heute, seit neun Stunden sitz ich hinterm Steuer. Ich steh immer hier und warte bis jemand in der Nähe einen Fahrer braucht. Hier sind immer so viele Menschen, Arbeit gibts genug. Der Job ist Fluch und Segen zugleich. Wenn ich tagsüber arbeite, habe ich am Abend Zeit für meine Tochter. Wenn ich, so wie jetzt, nachts fahre ist dafür kein Verkehr und ich kann beim Fahren die Schönheit dieser Stadt genießen. Die Autofahrer können einem hier echt den Tag versauen. Deswegen wechsle ich jede Woche zwischen Nacht und Tagesschicht. Ich möchte soviel Zeit wie möglich mit meiner Tochter verbringen, gute Erziehung ist das Wichtigste im Leben eines Kindes. Trotzdem muss ich viel Arbeiten, es ist ja die Aufgabe des Mannes die Familie zu ernähren. Zwei- bis dreimal im Jahr fliegen wir nach Hause zum Rest unserer Familie nach Tunesien. Im Grunde vermissen wir nichts – tunesische Restaurants gibts es hier ja genug.

COUPLE | PÄRCHEN

«Wir sind beide 30 Jahre alt und haben uns während der Unizeit kennen gelernt. Seit sieben Jahren sind wir schon ein Paar und arbeiten beide bei Gucci.»

OUVRIER | BAUARBEITER

Ich arbeite seit einem Jahr hier in La Defense auf dem Bau vom neuen Bahnhof. Im Moment ist leider Baustopp wegen des schlechten Wetters. Also ein Tag ohne Geld. Ich komme ursprünglich aus Algerien, bin aber nach Frankreich gekommen um besser zu verdienen. Der Lohn beträgt 8€ pro Stunde. Das hört sich nicht nach viel an, reicht mir  aber zum Leben hier in Frankreich und ist bei Weitem mehr als ich in Algerien verdienen würde. Ich wohne in einem Appartement in der Nähe vom Flughafen. Heute habe ich eine Zugfahrt von einer Stunde hierher umsonst gemacht. Mein Chef hat erst angerufen, um für heute abzusagen, als ich schon in La Defense angekommen bin. Meinen Kollegen und mir bleibt also nichts anderes übrig, als auf besseres Wetter zu warten und noch etwas Geld zu verdienen. Manchmal wünsch ich mir in Deutschland zu arbeiten. Dort läuft  alles viel geregelter ab als in Frankreich. Außerdem sind die Löhne besser. Leider kann ich kein Deutsch. Ich sitze also wohl noch etwas länger in meiner kleinen Wohnung fest.

PÈRE | VATER

«Ich komme oft nach La Défense. Es ist eine schöne Gegend, um sich mit anderen auszutauschen. Außerdem wird man nicht von oben herab angeschaut, wie zum Beispiel im 16. Arrondissement. Ich meide auch die Touristenviertel, denn das macht die Stadt nicht aus. Dort ist alles gekünstelt. Das echte Paris lebt von Montag bis Montag und ist in der Gegend um Nation. Dort ist es kleiner, ruhiger und ein guter Ort zum auszugehen. Früher war ich sehr oft und sehr viel feiern. Mittlerweile hat sich mein Leben verändert, da ich Vater von Zwillingen geworden bin. Sie sind das Beste was mir passieren konnte. Ich begann Verantwortung zu übernehmen und bemühte mich um einen Job. Meinen Kleinen soll es gut gehen. Trotzdem genieße ich nach der Arbeit gerne mit meinem Kumpel zusammen einen Aperitif, Red Bull und Cola. Das ist nicht typisch französisch aber mir schmeckt es und ich kann mich dabei gut unterhalten. Daraufhin ein Prost auf das echte Paris und unsere Kinder.»

PERSONNE FÊTANT SON ANNIVERSAIRE | GEBURTSTAGSKIND

«Hey kommt her und setzt euch zu uns! Ich feier’ seit letzter Nacht meinen 30. Geburtstag! Die Zeit vergeht wie im Flug. Irgendwie scheiße, dass ich nicht mehr 29 bin. Das heißt aber nicht, dass ich nicht mehr feiern kann! Man ist schließlich nur so alt, wie man sich fühlt, oder? Paris ist eh eine der besten Städte, um Spaß zu haben. Wo sonst bekommt man an einem Sonntag den ganzen Tag überall Alkohol? Ey kannst du mir einen Joint drehen? Ich bin seit 24 h blau, und kann das nicht mehr. Ach ja, Seb´ hier hat das beste Koks, braucht ihr was?»

PIANISTE | KLAVIERSPIELER

«Ich finde die Idee Klaviere an U-Bahnstationen für Jedermann zur Verfügung zu stellen toll. Es ist eine schöne Gelegenheit kurz zu spielen, während man auf den Zug wartet. Durch die hohen Hallen hat man einen einzigartigen Klang und natürlich immer unterschiedliches Publikum. Ich spiele selbst erst seit einem Jahr Klavier, habe allerdings keinen Unterricht. Die Grundgriffe hat mir meine große Schwester beigebracht. Ansonsten spiele ich frei raus nach dem Gehör. Da die Mieten hier so hoch sind konnte ich mir leider nur ein kleines Klavier leisten, aber mir reicht das völlig aus. Das Spielen ist zu meiner Leidenschaft geworden und lenkt mich von meinem stressigen Mathe- und Physikstudium ab. Ich spiele gerne sämtliche Musikrichtungen von der Klassik bis zum Blues, obwohl ich privat eigentlich eher Hiphop höre. Schon als Kind habe ich meine Leidenschaft zur Musik entdeckt und eigentlich wollte ich damals ein Schlagzeug haben um damit die Nachbarn zu ärgern. Die mochte ich nämlich gar nicht, aber leider hat das Geld nur für eine Gitarre gereicht.»

VENDEUR À ZARA | ZARA MITARBEITER

«Ich arbeite bei Zara in der Champs-Élysées. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit, denn ich komme aus Italien und wohne erst seit 7 Monaten in Paris. Meine Wohnung ist nur 200 Meter von meinem Arbeitsplatz entfernt. Sie gehört einem Freund von mir, bei der ich zur Untermiete wohne. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit sehe ich viele Leute ohne einen Job, ohne eine Wohnung, ohne genügend Essen. Dadurch schätzt ich mein Glück noch viel mehr, denn ich weiß es ist nicht einfach in Paris eine Arbeit zu finden. Aus diesem Grund genieße ich jeden Tag in dieser Stadt und versuche so viel wie möglich zu erleben. Erst später, wenn ich dazu bereit bin, möchte ich eine Familie gründen und mich an einen festen Ort binden. Aber die Stadt Paris ist bis jetzt mein Favoriten.»

VENDEUSE DE CHOCOLAT | SCHOKOLADENVERKÄUFERIN

«Der Laden hier hat sechs Tage die Woche auf; an fünf Tagen arbeite ich hier 10 Stunden, den ganzen Tag. Seit 2 Jahren bin ich verantwortlich für diese Filiale. Bei dieser Kette arbeite ich seit 20 Jahren. Die Pralinen machen wir im Hinterzimmer selber, mit jeder Praline werde ich besser, das ist mir auch lieber als sie an der Kasse zu verkaufen. Vor ungefähr fünf Jahren habe ich die letzte Praline gegessen, durch den Geruch von Schokolade den ganzen Tag vergeht einem der Appetit. Obwohl wir seit fast 10 Jahren verheiratet sind, schenkt mir mein Mann jedes Jahr zum Valentinstag noch Pralinen. Wahrscheinlich weil er weiß das ich sie nicht esse und somit mehr für ihn übrig bleibt.»