Drachen, Hexen, Vampire, Ghule und Orks. Den meisten von uns sind diese Begriffe wohl nur aus Büchern und Filmen bekannt. Für Edmund Dräcker jedoch bedeuten sie Arbeit. Als Präsident des Bundesamts für magische Wesen (BafmW) weiß der Behörden-Veteran um die immense Verwaltungsarbeit, die mit den hier in Deutschland lebenden magischen Wesen einhergeht. Am Bonner Hauptsitz leisten Dräcker, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber weit mehr für die hierzulande noch immer stark benachteiligten magischen Minderheiten.

Herr Dräcker, welche Aufgaben übernimmt das Bundesamt für magische Wesen hier in Deutschland?

Unsere Kernaufgabe liegt, wie man sich das von deutschen Ämtern vorstellt, in der Verwaltungsarbeit. In enger Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Behörden wie beispielsweise dem Zoll, dem Auswärtigen Amt und auch Finanzämtern kümmern wir uns um die existenziellen Belange aller hier in Deutschland gemeldeten magischen Wesen. Wir sehen uns also für etwaige Asylanträge, Belange in Sachen Unterbringung, Bildung, Arbeit und dergleichen in der Verantwortung.

Und dafür herrscht hier tatsächlich Bedarf?

Ja, unbedingt. Sie kennen ja bestimmt die Geschichte von Vlad, dem Pfähler. Wenn sie jetzt denken, dass der nur als Vorlage für Schauergeschichten dient, dann irren Sie gewaltig. Magische Wesen existieren nunmal – auch hier unter uns. An sich stellt das ja auch gar kein Problem dar, solange hinter ihnen, wie auch hinter mir oder eben jedem anderen normalen Bürger, eine ordentliche Verwaltung steht. So wäre Vlad damals wohl auch gar nicht erst auf die Idee gekommen, die Ottomanen zu pfählen. Aber natürlich kann ich da jetzt nur spekulieren.

Und wie verwaltet man – bleiben wir mal bei Ihrem Beispiel – Vampire?

Verwaltung ist eigentlich sogar nur der kleinste Teil unserer Arbeit. Wir Beamte beim BafmW wollen Brückenschlagen; Ängste überwinden. Magische Wesen werden von großen Teilen der Normalbevölkerung noch immer nicht anerkannt. Ich will ja nicht von systematischer Benachteiligung sprechen, aber – naja – deswegen sehen wir uns jedenfalls in der Pflicht, für deren Rechte zu kämpfen.

Rechte?

Natürlich. Es kann doch nicht angehen, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer in engstirnigen Kategorien wie Mensch und Wesen denken. Erst kürzlich haben wir deswegen auch Plätze für Gleichstellungs- und Genderbeauftragte hier im Amt geschaffen. Ein großer Schritt in die richtige Richtung, wie ich finde.

Also sollte zwischen Vampiren und Menschen gar nicht unterschieden werden?

Nehmen wir homosexuelle Vampire. Fänden Sie es in Ordnung, deren Kinder zu zwingen, katholische Kindergärten zu besuchen? Ich denke nicht. Wir fordern daher eine Umgebung, in denen diese Kinder frei von religiöser Stereotypisierung erzogen werden können. In Köln kann dies nun schon formlos beantragt werden. Die Kosten für eine Tagesmutter übernimmt dort nun das ansässige Jugendamt. Das ist ein riesiger Erfolg für uns. Auch in Sachen gendergerechter Außenpolitik machen wir große Fortschritte. Diese Stigmatisierung weiblicher Orks wollen und werden wir nicht länger dulden.

Wollen Sie mir ernsthaft weismachen, dass hier in Deutschland ein offizielles Bundesamt existiert und finanziert wird, das sich für die Gleichstellung von schwulen Vampiren und weiblichen Orks einsetzt?

Ja, diese Frage bekomme ich öfter zu hören. (lacht) Zu unseren Finanzen darf ich Ihnen gegenüber aber keine Angaben machen.

Dazu sind öffentliche Ämter doch verpflichtet?

Ja, das mit der Öffentlichkeit und Offiziosität ist hier so ‘ne Sache. (lacht)

Edmund F. Dräcker ist in der Tat eine frei erfundene Kunstfigur. Wenn man so möchte, ebenso fiktional wie Vampire, Orks und dergleichen. Das Bundesamt für magische Wesen entspringt keineswegs der Fantasie. Hagen Ulrich – bürgerlich Klaus Maresch – führt das Bonner Verlagshaus.

Herr Maresch, was hat es denn nun eigentlich mit ihrem Präsidenten auf sich?

Der kaiserlich deutsche Vizekonsul Edmund Friedemann Dräcker, Sohn der Komtesse Frohlinde von Stoltze-Ohnezaster und des Pastors und Kirchenrates Gotthilf Emmanuel Dräcker von Gumbinnen bei Suleykenin Ostpreußen, so sein voller Name, ist tatsächlich unser Amtspräsident. Zumindest ist er bei Wikipedia als eben dieser referenziert. Erfunden, um sich vor langweiligen Sitzungen drücken zu können, geistert er seither – und wir sprechen hier von mittlerweile fast 90 Jahren – als interne Witzfigur durch die Akten des Auswärtigen Amts. Als wir dann einen Kinospot für unser Bundesamt drehen wollten, besuchte uns ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts aus Berlin und spielte den Dräcker für uns. Und so kam es, dass Dräcker zu unserem Präsidenten wurde.

Lässt sich darin eine Parallele dazu ziehen, wie das Bundesamt für magische Wesen entstand?

In Sachen Spontanität, ja. Jedenfalls entstand die Idee für unser Bundesamt für magische Wesen auch aus einer Bierlaune heraus. Und die haben wir dann sicherheitshalber auf einem Bierdeckel festgehalten.

Was stand dann auf diesem Bierdeckel?

Die Idee war, ein Bundesamt für magische Wesen zu gründen. Dann müsse es schließlich auch magische Wesen in Deutschland geben. Denn der Gedanke an eine deutsche Behörde ohne Sinn und Zweck wäre ja völlig absurd.

Alles in allem wirkt das Bundesamt für magische Wesen sehr offiziell. Sie sitzen in einem ehemaligen Postamt – ihr Logo ist dem deutscher Ämter nachempfunden. Sie fahren sogar einen Dienstwagen, der denen der Polizei zum Verwechseln ähnlich sieht. Gab es da nie Schwierigkeiten?

Anfangs war das tatsächlich gar nicht so einfach. Wir hatten öfter verdeckte Ermittler im Haus. Vom Bundesamt für Justiz, der Verwaltung, der Sicherheit in der Informationstechnik und dem Bundespresseamt, um nur einige zu nennen. Die anfängliche Skepsis uns gegenüber hat sich dann aber recht schnell gelegt. Das Bundespresseamt hat uns letztlich als irgendetwas zwischen Kunst, Kultur, Literatur und Blödsinn eingestuft. Und Blödsinn ist ja grundsätzlich auch vom Grundgesetz abgedeckt.

Selbst gegen den Namen hatte niemand etwas einzuwenden?

Das war ganz witzig. Wenn ich mich recht erinnere, kam die Begründung vom Bundespresseamt oder dem Bundesverwaltungsamt. Im Endeffekt lief es darauf hinaus, dass ja auch die Kirche ein eigenes Bundesamt hat und sich so verwalten darf. Und wenn diese Fantasy-Organisation das dürfe, dann dürften wir als Bundesamt für magische Wesen das auch. Einem möglichen Vorwurf der Amtsanmaßung konnten wir auch entgehen, da wir uns hier ja nur um Hexen, Drachen,Vampire und Konsorten kümmern. (lacht) Es gibt ihn also doch den deutschen Behördenhumor.

Wie reagieren normale Menschen auf das Verlagshaus?

Da sieht das schon wieder etwas anders aus. Also da kann es dann schon häufiger mal zu Verwirrung kommen. Aber aus diesen Begegnungen entstehen – zumindest meistens – ganz lustige Geschichten. Ich hatte da zum Beispiel mal einen jungen Anrufer am Telefon, der mir erklärte, dass er von einem weiblichen Dämon belästigt wird. Da wir eben auch im Telefonbuch und aufgrund unseres Namens nicht unweit offizieller Ämtern gelistet sind, sah er in seinem Fall natürlich uns zuständig. Also habe ich mich dem angenommen und die Dämonin zurückgerufen. Völlig überraschend antwortete mir aber keine Dämonin, sondern die Mitarbeiterin einer Investment-Firma aus Singapur, die dem jungen Mann nur fadenscheinige Angebote anzudrehen versuchte.

Mit Missverständnissen rechnen sie also schon?

Klar, wenn man uns nicht kennt, lässt sich das nicht vermeiden. Aber das ist meist nicht weiter tragisch. Als ich mit unserem Dienstwagen unterwegs war, musste ich mal länger an einem Bahnübergang warten. Prompt klopfte es an meiner Scheibe. Ein circa 50-jähriger, türkischstämmiger Mann stand neben meinem Wagen und meinte, ich müsse ihm dringend helfen. Seine Frau sei mitsamt seinem Sohn verschwunden. Ich fragte natürlich nach; könnte ja ein Notfall sein. Er erklärte mir dann, seine Frau sei majnun, was auf den arabischen Begriff Djinn zurückgeht und im Grunde nur ein unnormales Verhalten beschreibt. Unnormal hieß in dem Fall, dass sich seine Frau nicht mehr um den Haushalt kümmerte. Aber auch sein Hāddscha war fest davon überzeugt, dass seine Frau von einem Dämon besessen sein musste. Deswegen sollte ich, beziehungsweise wir als Bundesamt für magische Wesen, seiner Frau doch nun bitte zur Raison verhelfen. Im weiteren Gespräch stellte sich nun aber heraus, dass der Mann eine jüngere Geliebte hatte, was sich für mich dann nicht nach einem Fall für die Geisterjäger anhörte. Daher riet ich ihm, sich mit seiner Frau zusammenzusetzen und selbst die Wogen zu glätten, da es neun Klassen von Djinnen gibt und er absolut keine Erfahrung mit solchen ab der fünften Klasse machen wolle.

Das klingt tatsächlich harmlos.

Ist es meistens auch. Natürlich gibt es auch unschöne Begegnungen. Auf Messen kommt es da auch schonmal vor, dass sich Besucher bei uns über die Verschwendung von Steuergeldern beschweren. Schlimmer ist es aber, wenn man uns aufgrund unserer Arbeit anfeindet.

Inwiefern?

Nun ja, ich betreibe mit dem Bundesamt für magische Wesen ein Verlagshaus, das wohl nicht gerade dem Mainstream entspricht. In erster Linie verlegen wir Fantasy-Literatur, bieten darüber hinaus aber auch Literatur für Homosexuelle an. Damit wollen wir gerade unsere jüngeren Leserinnen und Leser aufklären. Wir wollen ein positives Selbstbild fördern und vermitteln: Du bist gut so, wie du bist. Und damit geht auch einher, sich politisch zu engagieren. Hier im Bundesamt für magische Wesen betreiben wir deswegen auch liebend gerne politische Satire. Aber auch persönlich setze ich mich ein, wenn in Sachen Politik, die Dinge nicht so laufen, wie sie es mittlerweile eigentlich sollten.

Wie sieht diese Arbeit aus?

In der Regel nehmen wir – ganz klassisch – aktuelle politische Geschehen oder Beiträge auf die Schippe und wandeln sie, entsprechend unserem Stil, um: Tipps zur Winterfütterung von Vögeln werden dann eben zu Tipps zum Winterfüttern heimischer Drachenarten. Ein Foto mit fünf unifomierten, auf Besen und Schaufeln reitenden Soldaten haben wir, als sich die Krise mit dem Dienstgewehr der Bundeswehr abspielte, als Anlass genommen, um Ursula von der Leyen mit dem Rüstungsprojekt «Iron-Brush» beizuspringen. Wir rieten zum Einsatz des Zauberstabs Eiche rustikal mit Salafisten-Sensor und Dumm-Dumm-Geschossen. Wie man es von einem Bundesamt erwarten würde, fassten wir das in einem amtlich-offiziellen Stil ab, aber natürlich immer mit dem nötigen Augenzwinkern. Es sei denn, es geht um Themen wie AfD, Rechte oder katholische Kirche. Da halten wir uns nicht zurück.

Das finden dann wohl nicht alle gut?

Nein, besonders mit Rechten verbinde ich keine schönen Erinnerungen. Ich war lange Jahre Berufsimker hier in Bonn und hätte mich, wäre das Bundesamt für magische Wesen nicht gewesen, beinahe ohne Existenzgrundlage wiedergefunden. Einbrüche, Androhung von Gewalt, versuchte Brandstiftung – das sind Erfahrungen, die niemanden – auch nicht mich und meine Familie – kalt lassen.

Wie kam es schlussendlich zum beruflichen Wandel?

Zunächst stand da nur diese Bierdeckel-Idee. Als dann ein Verleger auf mich zukam, der mich fragte, ob ich nicht seinen Verlag übernehmen wolle, wenn er in der Ruhestand geht, musste ich mir das erst einmal überlegen. Vor vielen Jahren habe ich Politik und Orientalistik studiert – vom Verleger – Handwerk hatte ich keine Ahnung. Er meinte darauf, dass das kein Problem sei und er mir das schon beibringen würde. So kam dann das Eine zum Anderen; ich habe von ihm das Verlegen gelernt und jetzt steh’ ich hier. Das Bundesamt für magische Wesen ist mit der Zeit zu einem Verlagshaus geworden, wie man sich das vorstellt. Festangestellte Mitarbeiter können wir unszwar noch nicht leisten, unser Augenmerk liegt aber trotzdem auf Qualität. Alle Arbeiten werden lektoriert und in einheitlicher Erscheinungsform veröffentlicht. Wir wollen wiedererkannt werden, produzieren also nur hochwertige Hardcover. Amazon-Billigkost gibt es bei uns nicht. Und an zweiter Stelle steht dann schon unsere satirische Arbeit. Aber auch unser Fanshop wächst weiter. Da lässt sich alles finden, was thematisch zu uns und auf T-Shirts, Hoodies, Tassen und dergleichen passt. Wir bieten auch sehr beliebte TÜV-Plaketten mit der Aufschrift «Magischer Überwachungsverein» an. (lacht)

Wie soll die Zukunft des Verlags aussehen?

In erster Linie wollen wir das Genre Fantasy hier in Deutschland bekannter und beliebter machen und Spaß an politischer Satire vermitteln. Und irgendwann soll aus dem Bundesamt dann ein kleines Unternehmen wachsen, das sich selbst tragen kann.