25 Jahre jung und doch ist der Tod ein alter Bekannter: Olga Reich aus Amberg war Praktikantin am anatomischen Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Vom beißendem Formalingeruch und knurrendem Magen – Menschen zerstückeln im Dienste der Wissenschaft.

Eingelegt und Zugenäht

Viel mentale Vorbereitungszeit lässt man Olga an ihrem ersten Tag an der Fakultät nicht. Der leitende Präparator fackelt nicht lange, öffnet den ersten Tank vor ihr und zieht eine Leiche auf den großen Stahltisch. Dabei rutscht ihr ein bereits gehäuteter Oberkörper aus dem Behälter entgegen. Hastig fängt sie ihn ab und schiebt ihn perplex zurück in das Becken. So begegnet Olga ihrem ersten Körperspender: «schnell und knallhart».

Der Tod dem Leben zur Hilfe

Praktische Arbeiten am menschlichen Körper sind in deutschen Präpariersälen eine unersetzliche Grundlage für die Aus- und Weiterbildung von mustergültigen Medizinern. Kein Fachbuch der Welt schafft es, die Individualität und Komplexität der menschlichen Anatomie annähernd effektiv zu vermitteln, wie diese Form von Handarbeit. Unterrichtsmaterial liefern Menschen, die ihren Körper nach dem Ableben zu Forschungszwecken an medizinische Fakultäten spenden. In Sezierkursen werden die vorab konservierten Leichen dann bis auf die Knochen zerlegt: «Mit Skalpell und Pinzette arbeiten sie sich Schicht für Schicht, von der Haut bis zum Skelett vor, legen Nervenbahnen, Blutgefäße und Organe frei, je nachdem was verlangt wird.» Viel übrig bleibt am Ende nicht. «Einzelteile oder vielleicht auch nur das Herz und der Arm.»

Letzter Wille mit Kleingedrucktem

Grundsätzlich kann jede volljährige Person mit einer unterschriebenen Vereinbarung Körperspender werden. Es handelt sich hier um keinen Vertrag sondern vielmehr um eine Absichtserklärung, die sowohl vom Antragsteller, als auch vom verantwortlichen Institut zu jeder Zeit und ohne Nennung von Gründen aufgehoben werden kann. Auch nach dem Tod kann ein gespendeter Leib abgelehnt werden. «Ein Grund wäre zum Beispiel eine Krebserkrankung des Spenders, die Gewebe und Organe zerstört hat, ein anderer wäre zu hohes Übergewicht. Außerdem werden keine Selbstmörder und Opfer von Gewalttaten angenommen.»

Tauschgeschäfte mit Mindesthaltbarkeitsdatum

Gründe für das Überlassen seines toten Körpers an ein anatomisches Institut gibt es zahlreiche. Frei von der Leber weg: Das Einsparen der Beerdiungskosten kann man sogar nachvollziehen. Von der Einäscherung bis hin zur Bestattung auf universitätseigenen Friedhöfen – organisiert und finanziert wird fast immer alles vom jeweiligen Institut. Bis es allerdings zur Beisetzung kommt, vergeht viel Zeit. «Zwischen 2 und 5 Jahren dauert es in der Regel, bis die Spender bestattet werden. Die Spender werden am Ende ihrer Dienstzeit kremiert und die Aschekapseln, die mit dem Namen und der Nummer des jeweiligen Spenders versehen sind, werden an einem Sammeltermin in einem Ehrengrab beziehungsweise Gemeinschaftsgrab beigesetzt. Die Angehörigen der Spender erhalten eine Einladung zu der Beerdigung und es gibt einen Geistlichen, der auf Wunsch die Namen der Körperspender vorliest, bevor die Urnen in die Erde gelassen werden.» Sonderwünsche wie das Bestatten in familieneigenen Gräbern sind im Servicepaket nicht innbegriffen und müssen von den Hinterbliebenen aus eigener Tasche bezahlt werden.

Nicht aller Tage Abend

Die Hinterbliebenen eines Körperspenders können mit dieser Situation oftmals nicht umgehen. «Es kam in meiner Anwesenheit einmal vor, dass eine Angehörige angerufen hatte und ihre Mutter noch einmal sehen wollte, was allerdings leider nicht mehr möglich ist, sobald die Spender bei uns eintreffen. Das den Angehörigen verständlich zu machen ist nicht immer einfach.» Die Beisetzung ist für viele ein wichtiger Schritt in der Trauerphase und die Jahre des Wartens verlängern den Kummer. Mit dem Tod eines Nahestehenden abzuschließen fällt hier vielen schwer.

Gut Ding will Weile haben

Bevor ein Toter in seine Einzelteile zerlegt werden kann, bedarf es noch einiges an Vorbereitung. «Wenn ein neuer Körperspender reinkam, dann wurde erst einmal entschieden, wie wir mit ihm verfahren wollten. Je nach Zustand der Leiche wurde diese entweder fixiert, sprich mit einer Formaldehyd-Lösung vollgepumpt oder es wurden die Gelenke abgesetzt, also die Gliedmaßen für Übungszwecke und dergleichen abgenommen. Wenn zweiteres der Fall war, dann war man da schon knappe drei Stunden beschäftigt bis alle Körperteile an den jeweiligen Schnittstellen sauber vernäht waren.» Die Konservierung des Körpers erfordert ebenso ein ruhiges Händchen und vor allem Geduld. «Dafür wird ein Schnitt am Oberschenkel gemacht und die Hauptschlagader freigelegt. Durch diese werden mithilfe einer Pumpe ca. 20 bis 25 Liter Formaldehyd-Lösung in den Körper hineinbefördert. Das dauert in der Regel, soweit ich mich entsinne, ca. 1 bis 2 Stunden.» Stimmt die Chemie, wird der Körper für gut ein Jahr in einen der mit Formalin-Lösung gefüllten Tanks eingelagert. Erst dann ist ein durchschnittlicher Körper vollständig fixiert und bereit zum präparieren.

Ein Job mit Hand und Fuß

Viele würden wohl beim bloßen Gedanken an dieses Betätigungsfeld möglichst schnell das Weite suchen. Für Olga war das kein Problem. «Es war anfangs zwar leicht befremdlich, aber Angst vor den Leichen hatte ich keine. Tut ja keiner was, sind ja alles überaus friedfertige Leute da. Nur Nachts wäre ich da wohl nicht so gern allein gewesen.» Ganz ohne Ekel gestaltete sich der Arbeitsalltag aber selbst für sie nicht. Einiges kann Olga so schnell nicht aus ihrem Gedächtnis streichen: «Das Gefühl, als ich mein erstes Bein abgenommen habe, das feuchte Reißen von Kopfhaut, die vom Schädelknochen gelöst wurde und der Anblick und das Gefühl von frisch entnommenen Gehirn in meinen Händen.» Obwohl es buchstäblich um Kopf und Kragen ging, musste die junge Frau das ein oder andere Mal erstaunt innehalten.«Der Anblick von dem Torso, dem soeben sämtliche Gliedmaßen und der Kopf entfernt wurden. Mit den vernähten Stumpen zusammen war das ein so seltsamer und gleichzeitig faszinierender Anblick, weil die Leiche für mich auf eine bizarre Art und Weise so viel von ihrem Mensch sein verloren hatte.»

Leichte Kost

Alles in allem viel Stoff für stattliche Alpträume – nicht so für Olga: «Ich habe im Gegenteil sehr friedlich schlafen können und hab mich auch immer auf den nächsten Tag gefreut.» Bereut hat sie ihre Zeit im Institut «absolut nicht», was auch daran liegen mag, dass der Umgang mit dem Tod einfach kein Problem für die junge Frau zu sein scheint.

«Wir waren gerade dabei, einen frisch eingegangen Körperspender zu zerlegen, also die Gelenke abzusetzen, als bei mir mitten unterm absägen des Oberschenkels lauthals der Magen geknurrt hat. War halt echte Knochenarbeit und sowas macht hungrig.»

Mittlerweile befindet sich Olga in einer Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Der Geschäftspartner Tod bleibt ihr somit erhalten.